03 - Sarggeflüster
seinen Augen auf, und er richtete sich kerzengerade auf. Er stopfte sich die Handtasche unter den Arm, rückte schnell noch seine Möpse zurecht und tat einen unsicheren Schritt nach vorne.
Zentimeterweise schob er sich auf die Tanzfläche, schwankte und eierte auf die Mitte zu, die Clutch nach wie vor fest unter den Arm geklemmt und deren eines Ende genau auf seine Zielperson ausgerichtet.
Das Lied endete und stattdessen begann ein schnellerer Song. Alle Tänzer passten sich dem Tempo an, einschließlich John. Er zitterte. Zappelte. Hüpfte.
Ich möchte jetzt wirklich nicht wie eine Skeptikerin oder so klingen, denn wenn Vampire existieren (so wie auch eine ganze Horde von Wer-Geschöpfen und Anderer), dann war offensichtlich alles möglich. Aber ich habe nie wirklich an Leute geglaubt, die Vorahnungen haben, oder an Menschen mit übersinnlicher Wahrnehmung oder an Hellseher oder sonst jemanden, der behauptet, die Zukunft vorhersagen zu können.
Ich wollte lieber daran glauben, dass die Zukunft letztlich von den Entscheidungen abhängt, die wir treffen, dass es keinen vorherbestimmten Pfad gibt und sich Dinge einfach so von jetzt auf gleich ändern können. Und wenn dem so war, dann wäre es praktisch unmöglich, einen Blick auf zukünftige Ereignisse zu werfen.
Richtig? Richtig.
Zumindest war es das, was ich immer geglaubt hatte.
Bis ich sah, wie sich John auf der Tanzfläche drehte und wendete. Eine Ahnung nahenden Unglücks überkam mich. Ein panisches „O Scheiße!“ hallte durch meinen Kopf.
Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Und tatsächlich, er wirbelte noch einmal herum.
Sein Körper bewegte sich nach links. Seine Brüste bewegten sich nach rechts.
Und der ganze Abend fuhr per Expresslieferung zur Hölle.
Von diesem Moment an ging alles sehr schnell, aber für mich fühlte es sich so an, als ob ein Horrorfilm geradezu schmerzlich langsam abgespielt wurde.
John rastete aus, als er merkte, dass seine Brüste in verschiedenen Richtungen über die Tanzfläche rutschten und schlitterten. In seiner Verzweiflung stürzte er sich zu Boden, um wenigstens eine wieder einzulangen. Sein langes rotes Haar peitschte die Luft und machte sich plötzlich selbstständig - ein dunkelbrauner Bürstenhaarschnitt wurde sichtbar.
Ein gellender Schrei ertönte. Die Musik hörte abrupt auf. Der Produzent rastete aus. Ein Dutzend Augenpaare pendelte zwischen der Tanzfläche und mir hin und her und -
Rasch schloss ich meinen Mund, der Schrei verstummte. Was soll ich sagen?
Ich meine, immerhin reden wir hier von einem Bürstenhaarschnitt.
Die des Betrugs Verdächtige sprang zurück. Ihr Absatz landete auf Einlage Nummer zwei, und deren Inhalt verteilte sich spritzend über den ganzen Holzboden.
Die Frau neben ihr rutschte aus, versuchte sich an die Brünette neben ihr zu klammern und landete auf dem Hinterteil. Die Brünette ging ebenfalls zu Boden, wobei sie sich an der Blondine neben ihr festhielt, die wiederum nach der Rothaarigen neben ihr griff, und so weiter und so fort, bis der Einzige, der noch aufrecht stand, Mr Weather war. Oh-oh.
Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf das entsetzte Gesicht des Junggesellen, als eine Frau gegen ihn taumelte und er sie aufzufangen versuchte.
Bevor ich nachdenken konnte, war ich schon auf den Beinen. Innerhalb von zwei Sekunden hatte ich den Saal durchquert und die Tanzfläche erreicht (man spricht nicht umsonst von übernatürlicher Geschwindigkeit). Meine Hände füllten sich mit diesem ganzen kühlen, weichen Gucci-Stoff. Ich fing Mr Weather genau in dem Moment auf, als er nach hinten zu stolpern und in einem Meer aus falschen Fingernägeln und eleganten Stilettos unterzugehen drohte.
„Was zum Teufel ...“, murmelte er, nachdem ich ihn wieder ins Gleichgewicht gebracht hatte und gerade sein zerknittertes Revers glattstrich. Er blinzelte und schüttelte den Kopf, als bemühte er sich zu begreifen, dass die verschwommene Gestalt, die er gerade gesehen hatte, meine Wenigkeit gewesen war.
„Ich habe ein paar Energy-Drinks getrunken, bevor ich herkam“, platzte es aus mir heraus. „Ein wahres Wunder, was ein bisschen Taurin bewirken kann.“
„Äh, ja.“ Er schüttelte erneut den Kopf und blinzelte noch ein paarmal. „Sie sind ganz schön stark.“
„Ich nehme auch Vitamine. Man kann gar nicht genug B14 haben.“
„Das ist kein Vitamin. Klingt eher wie eine Straßenbezeichnung. Ich glaube, Sie meinen B12.“
„B12, B14 - ich nehme die gesamte
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