03 - Schatten Krieger
durch den Raum. »Erinnerst du dich noch daran, was ich dir auf dem Dach des Großen Frieds in Rauthaz gesagt habe?«
Calabos konnte sich diesen Moment mühelos ins Gedächtnis rufen, ebenso wie alles, was dort gesagt wurde, noch während Mazaret selbst die Worte wiederholte.
»Geister im Himmel und im Meer und in dem schwarzen Abgrund der Nacht… umgeben von Geistern, von Armeen und ganzen Völkern von Geistern …«
Mazaret streckte die Hand aus und hielt Calabos das Stück schwarzen Eisenholzes hin. Er nahm es misstrauisch entgegen, während die Worte weiter aus Coiregs Mund sprudelten.
»Eine Welt voller Geister, bis zum Überlaufen voll, hungrig genug, um das Fleisch des Firmaments und die Knochen der Erde zu fressen … Sie lassen nichts übrig, nur Schatten …«
Er trat zurück, und sein bleiches Gesicht verzerrte sich vor Angst. Seine Augen waren starr auf etwas gerichtet, das anscheinend nur er sehen konnte.
»… die Welt selbst ist ein Gespenst, ein durchscheinendes Pergament, gespannt über einen rußgeschwärzten Schädel…!«
Er verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße darin zu sehen war, sank zur Seite und stieß einen Stuhl um, während er zu Boden fiel. Calabos sprang vor und fing ihn gerade noch rechtzeitig auf. Einen Moment später legte er ihn sanft auf die schlichte graue Pritsche. Coireg kam langsam wieder zu Bewusstsein, er stöhnte und hustete schwach, und seine Augenlider hoben sich zuckend. Calabos schenkte Wasser aus einem Krug am Boden in einen Becher und hielt ihn Mazaret an die Lippen. Der nickte dankbar und trank mit kleinen Schlucken. »Du bist ein guter Freund«, sagte er schließlich. »Ich wünschte, ich wäre dir weniger eine Bürde als eine Hilfe.« »Du hilfst mir mehr, als du ahnst«, antwortete Calabos. »Und zwar schon vom Beginn unserer gemeinsamen Wanderschaft an.«
»Wenn ich jetzt nur …« Coireg Mazaret schüttelte vorsichtig den Kopf. »Alles, wovon mein Schatten in diesen Tagen erfährt, ist von seltsamen Symbolen überlagert, deren Sinn ich nicht ergründen kann.«
»Er war aber recht eindeutig, was unseren alten Widersacher betrifft«, meinte Calabos.
»Er ist hier.«
»Und er hat einen Ort erwähnt…«, Mazaret gähnte ausgiebig, »den er
Nachtreich
nannte, die Domäne der Ewigkeit. Irgendwie klingt das vertraut.«
Calabos runzelte die Stirn. »Ich habe das auch schon gehört, aber das muss nach dem Krieg gewesen sein. Ich weiß nicht mehr, wann und wo …«Unsicher hielt er inne und erwog mehrere Möglichkeiten. »Es klingt nach einem Gebet, einem Ritual oder vielleicht einer Anrufung …«
Er unterbrach sich, als ihm auffiel, dass Coireg Mazaret fest schlief.
Du segelst wahrlich auf deiner eigenen, rastlosen See, dachte er, und ziehst merkwürdige Fänge in deinen Netzen aus der Tiefe hinauf.
Sorgfältig stellte er Krag und Becher auf den Boden in Reichweite der Kastenpritsche, stand auf und verließ leise das Zimmer. In dem schmalen Flur zog er das geschnitzte Stück Eisenholz aus der Tasche und betrachtete es. Es war sehr sorgfältig bearbeitet, und die Einzelheiten traten deutlich hervor, was seine Wirkung allerdings noch beunruhigender machte. Es zeigte eine flache Oberfläche, aus der sich Gestalten von Menschen erhoben, Gesichter, Köpfe und Schultern, Hände und Arme. Alle schienen gegen ihr Ertrinken zu kämpfen … Die andere Tür öffnete sich, und Bischof Waldemar trat in den Flur. Ruhig schob Calabos die Holzplastik in seine Tasche.
»Habt Ihr ihn zugänglich vorgefunden?«, erkundigte sich der Bischof.
»Er war eher halsstarrig«, erwiderte Calabos lächelnd. »Aber dabei merkwürdig mitteilsam.« »Und jetzt?«
»Schläft er fest«, antwortete Calabos. »Der Wahnsinn ist zwar von ihm gewichen, aber er ist vollkommen erschöpft.«
Waldemar nickte eifrig. »Ja, mein Freund, das ist eine uns bekannte Folge. Ich lasse eine Brühe für ihn zubereiten, wenn er nachher aufwacht.«
»Danke für alles, was Ihr für ihn tut.« Calabos ging langsam zur Treppe. »Bedauerlicherweise muss ich nach Sejeend zurückkehren. Wenn er wieder bei Bewusstsein ist, sagt ihm, dass ich in einigen Tagen zurückkehre.« »Das werde ich«, versprach ihm der Bischof. »Möget Ihr eine sichere Reise haben.«
Calabos lächelte und stieg die Treppe hinunter. Er dachte an Mazarets Worte und die Schnitzarbeit und vergaß dieses eine Mal, sich wie ein alter Mann zu bewegen.
4
Silberne Glocken tragen klar und weit,
In der heiligen Ruhe der Tempel.
Auch kleine
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