03 - Schatten Krieger
Ondene rang nach Luft und sah nur einen riesigen Felsvorsprung, den uralten Ausläufer eines Flussbettes, der unter der Wasserlinie schimmerte und bei Ebbe auftauchte. »Vergesst nicht, diesmal Eure Augen zu schließen, Hauptmann«, rief Qothan über die Schulter zurück. »Der Schwung wird gleich einsetzen …«
Ondene drehte sich der Magen um, und er taumelte benommen. Er verlor das Gleichgewicht, schwankte, stolperte und streckte schützend die Arme aus, als er stürzte. Sand und Kiesel spritzten zur Seite, als er auf einem Ellbogen landete, sich abrollte und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. In seinem Kopf herrschte eine merkwürdige Leere, während sein Gehör schubweise ausfiel und sich ein blasses Netz vor seine Augen schob … Er hat gesagt, ich soll die Augen schließen, dachte er verzweifelt. Schließ deine Augen …
Er tat es, und die Übelkeit und der Schwindel ließen nach. Dann fühlte er, wie jemand ihn hochhob und über den Strand schleppte.
»Haltet Euch bereit«, murmelte Qothan hinter einem Schleier aus Wispern und rauschendem Wasser. Ondene hielt die Augen fest geschlossen, aber dennoch blieb das merkwürdige Gefühl. Abstrakte Bilder formten sich hinter seinen Augenlidern, regenbogenfarbene Fäden und strahlende Funken, die merkwürdige, augenförmige Umrisse bildeten und dann verwischten. Einen kurzen Moment schienen sie ein großes Waffenarsenal darzustellen: Pfeile, Schilde, Speere, Dolche, unterlegt von dem Gesicht eines Mannes, das ihm vage bekannt vorkam. Dann spaltete ein Riss das Gesicht in zwei Teile und bildete eine Kluft, durch die er stürzte …
Eine beißende Kälte riss ihn wieder ins Bewusstsein zurück. Sie hüllte ihn von der Brust abwärts ein und lähmte seine Beine, als er versuchte, sich zu rühren. Im nächsten Moment kehrten Sicht und Gehör so plötzlich wieder zurück, dass er vor Überraschung keuchte und beinahe erneut gestürzt wäre. Ein Arm stützte ihn und bewahrte ihn davor, mit dem Gesicht voran ins Wasser zu fallen.
»Beruhigt Euch, Hauptmann. Wir sind aus dem Schlund der Zeit zurückgekehrt.«
Sie waren vollkommen von Dunkelheit und dem Rauschen der Wellen eingeschlossen. Unter Ondenes Füßen gaben Sand , und Kies nach, und als er hochblickte, sah er eine waagrechte Linie in der Dunkelheit, die vom gelblichen Licht von Fackeln erhellt wurde. Er lachte heiser, als ihm klar wurde, dass sie am Fuße eines der kleineren Kais an der Südküste der Bucht herumwateten.
»Woher wusstet Ihr… wisst Ihr, wohin Ihr gehen müsst?« Er folgte Qothan durch das unruhige Wasser zu der senkrecht aufragenden Mauer des Kais.
»Beobachtung«, erwiderte der große Mann. »Von unveränderlichen Zeichen.«
Ondene runzelte die Stirn. Dieser Küstenabschnitt sah heute doch gewiss völlig anders aus als früher. Das Ufer war vollkommen umgestaltet worden, und der Küstenboden war ausgehoben worden, damit auch größere Schiffe anlegen konnten. Aber er sagte nichts, denn die eisige Meeresluft drang ihm bis auf die Knochen, und er begann heftig zu zittern. Es war jetzt so dunkel, dass er kaum mehr Qothans Gestalt erkennen konnte. Dann fasste ihn jemand an den Händen und führte ihn einige Meter weiter, bis seine Finger an etwas Kaltes, Nasses, Metallisches stießen. »Klettert hinauf, Hauptmann. Wir haben unser Ziel fast erreicht.«
Die Leiter war zerfressen, und das brüchige Eisen blätterte ab. Er fühlte den bröckelnden Rost und die schlüpfrigen Algen, als er die Sprossen emporstieg. Die Anstrengung wärmte ihn auf, aber sie verbrauchte auch seine letzte Kraft. Die letzten Sprossen bereiteten ihm die größte Mühe. Oben angekommen sank er nach vorn und kroch ein Stück auf die groben, breiten Planken des Piers. Dort blieb er keuchend liegen. Einen Moment später zog Qothan ihn hoch.
»Nur noch ein kleines Stück, Hauptmann. Zu einem der Tiefwasser-Ankerplätze.«
»Ein … Schiff?«, fragte Ondene erschöpft.
»Ja. Die
Sturmklaue.«
Qothan stützte ihn mit einem Arm. »An Bord wartet mein Herr, der Euch vielleicht einige Antworten geben kann.«
Sie boten ein seltsames Bild, die beiden so unterschiedlich großen Männer, die vollkommen durchnässt und vom Rost der Leiter beschmutzt waren. Qothan erklärte den seltenen Passanten, denen sie begegneten, sein Gefährte sei so betrunken wie ein Lord am Hochzeitstag. Ondene verzichtete darauf zu protestieren. Er dachte über seinen glühenden Wunsch nach Vergeltung an der Familie dor-Galyn nach, die sein Heim an
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