03 - Schatten Krieger
unsichtbaren Mantel, der keine Kälte durchließ und ihn wärmte. Seine Gedanken dagegen waren alles andere als behaglich. Sie überschlugen sich förmlich vor Furcht, während er herauszufinden versuchte, wo und vor allem wann er hier war.
Die Zeit ist hier nicht unser Verbündeter,
hatte Qothan gesagt, und dennoch war es offensichtlich, dass dieser grimmige Fremde, der in sein Schicksal eingegriffen hatte, eine dunkle Magie gewirkt und sie beide durch den langen Tunnel der Zeit zurückgeworfen hatte. In eine Epoche, in der Sejeend kaum mehr als ein größeres Dorf gewesen war.
Je länger er über diese albtraumhafte Situation nachdachte, desto stärker wuchs seine Angst, bis sie ihn geradezu einschnürte. Er schob diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich lieber darauf, mit Qothan mitzuhalten. Die Landschaft war nur zur Hälfte von Menschenhand bebaut, und nur wenige Vögel störten mit ihren Rufen die gedämpfte Stille. Nach kurzer Zeit verbreiterte sich der Karrenweg und traf auf andere Wege aus dem Norden, auf denen sie gelegentlich Reisenden begegneten. Die meisten waren zu Fuß unterwegs und führten Pferdekarren mit sich, die mit Kisten, Bündeln und ihren in Lumpen gewickelten Habseligkeiten beladen waren. Einige erleuchteten den Weg mit rauchenden Fackeln, als das Tageslicht immer schwächer wurde. Und an jedem Karren schaukelte dicht neben dem Kutscher eine Laterne am Haken.
Ondene sah die Erschöpfung und Not in ihren Gesichtern. Es mussten Flüchtlinge sein, die offenbar vor einer ihm unbekannten Notlage aus dem Norden flohen. Dieser Anblick war ihm aus seiner Zeit als gedungener Schwertkämpfer nur zu vertraut, als er für die Junker und Gutsherren an der Küste von Dalbari gekämpft hatte. Es hatte ihn stets belastet, dieses Elend mit ansehen zu müssen. Ihm fiel auf, dass kaum einer der Flüchtlinge redete. Alle schienen vor Müdigkeit und Gram in sich versunken zu sein, bis auf ein paar Kinder, die auf einem der Wagen miteinander plapperten. Er schnappte das ein oder andere Wort auf. Sie redeten in einer alten Form des Mantinorischen, vermutlich war es ein Dialekt.
Selbst wenn ich etwas sage, dachte er, werden sie mich nicht verstehen und vielleicht sogar unfreundlich reagieren …
Also trottete er schweigend hinter Qothan her.
Der Weg führte durch ein dichtes Wäldchen aus schwarzen, kahlen Bäumen zum Ufer des Vaale und zu einer massiven Steinbrücke. Auf der anderen Seite schlängelte sich eine Straße zu den Toren von Sejeend hinauf, doch Qothan bog von ihr ab und steuerte nach Norden, zum Ufer des Flusses. Mit einem traurigen Blick zurück auf die Flüchtlinge hastete Ondene hinter ihm her, über den verschneiten, unebenen Boden, der von Senken und vereisten Pfützen unterbrochen wurde, die in der Dämmerung kaum zu erkennen waren. Qothan hatte seine Schritte noch weiter beschleunigt und eilte durch den Schnee. Ondene hastete zu dem Mann und packte seinen Arm. Er wollte ihn aufhalten, doch stattdessen wurde sein eigener Arm in einen eisernen Griff genommen, und er wurde weitergezogen.
»Wartet! Verdammt, halt! Warum habt Ihr es … so verdammt eilig?«
»Ich sagte Euch bereits, Hauptmann, die Zeit ist gegen uns!« Qothan ließ ihn los und ging etwas langsamer. »Schon bald werden wir wieder in das Jahr und den Tag zurückversetzt, an dem wir sie verlassen haben, und bis dahin müssen wir an einem sicheren Ort sein.«
»Und Ihr kennt einen solchen Ort«, stellte Ondene fest.
»Allerdings. Wir müssen ihn schnellstens erreichen.« Er schaute Ondene an. »Wenn Eure Kräfte schwinden, kann ich Euch tragen. Es wird mich nicht aufhalten.«
»Ich glaube, ich schaffe es selbst.«
»Gut.« Der große Mann drehte sich um und setzte den Weg mit weit ausgreifenden Schritten fort. Ondene starrte ihm einen Moment erstaunt nach, bevor er ihm folgte, so schnell er es vermochte.
Einige hölzerne Molen ragten auf Holzpfeilern ins Meer hinaus, und Qothan lief unter ihnen hindurch. Seine Schritte knirschten auf dem vom Frost überzogenen Kies. Ondenes Erinnerung sagte ihm, dass sich über diesen Teil der Bucht ein ausgedehntes Netz von Anlegestellen und Docks erstreckte, oder jedenfalls eines Tages erstrecken würde, und er konnte sich Qothans Hast nicht erklären. Schließlich tauchten sie aus dem von Unkraut überwucherten Schatten eines weiteren Landungssteges auf und Qothan knurrte.
»Da!«, sagte er. »Wir haben es gerade noch rechtzeitig geschafft …«
Er lief noch schneller weiter.
Weitere Kostenlose Bücher