03 - Schatten Krieger
beobachten.«
»Wie traurig«, murmelte Ayoni.
Deshalb hat er gesagt, er ist in den Gärten.
»Alael hat etwas ganz Ähnliches erlebt. Sie schaute ihrer eigenen Krönung zu, verfolgte, wie sie sich in ihrer Rolle als Königin zurechtfand, wie sie regierte, Befehle erteilte, Probleme abwog, Krisen meisterte, urteilte, bestrafte oder belohnte.«
»Das muss sehr schwer für sie gewesen sein«, vermutete Ayoni.
Der Erzmagier lächelte schwach. »Ich glaube, sie hat irgendwann entschieden, dass die leibhaftige Alael eine andere Person war, die sich in vielen Dingen von ihr unterschied, und ihr lebhaftes Interesse kühlte etwas ab. Als jedoch der echte Ikarno Mazaret verschied, mit mürrischen zweiundachtzig Jahren, trauerten zwei Alaels an seiner Totenbahre. Unser Mazaret verzichtete auf einen Besuch am Totenbett und nahm auch an den Beisetzungsfeierlichkeiten nicht teil.«
»Verständlich«, warf Chellour trocken ein.
»Wenn Ihr keine Geister seid, Meister Bardow«, fragte Ayoni, »was seid Ihr dann?«
Der Erzmagier schaute in den Himmel empor und lächelte geheimnisvoll. »Ich glaube, wir sind Echos unseres wahren Selbst. Etwas Gewaltiges ist geschehen, als Suviel und Tauric den Herrn des Zwielichts in der Leere zum letzten Kampf stellten, etwas, das gewisse Menschen tief berührte und ihre … Spiegelbilder … in diesen Ort des Traumes geworfen hat.«
»Ich fühle mich nicht wie ein Echo«, knurrte Atroc mürrisch.
»Dennoch sind wir seit mehr als dreihundert Jahren in unseren alterslosen Existenzen gefangen«, meinte Bardow. »Vielleicht finden wir irgendwann eine Antwort auf dieses Mysterium, aber jetzt wollen wir unsere ätherische Natur zu unserem Vorteil nutzen und in den Tagfried gehen.«
Sie erhoben sich alle gleichzeitig in die Luft und schwebten nach Norden. Momente später drangen sie durch die Wände des Tagfrieds, der großen, zylindrischen Bastion, welche die inneren und äußeren Paradeplätze überragte. Das Dach war zum größten Teil eingefallen, und Teile der Außenwand lagen in grasbewachsenen Schutthaufen am Sockel des Frieds. Obwohl es im Inneren dunkel war, sahen sie die eingestürzten Decken, die zerborstenen Pfeiler und Treppen, die unter Mauertrümmern begraben waren. Während sie Stockwerk um Stockwerk hinabsanken, wurde deutlich, dass die unteren Etagen offenbar weniger Schaden genommen hatten. Schließlich kamen sie im Erdgeschoss an, in einer großen, runden Kammer, in der zahlreiche Fackeln brannten. In der Mitte bildeten zehn brennende Kerzen einen großen Kreis. Vor jeder Kerze saß eine verhüllte Gestalt. Als die vier geisterhaften Magier die Kammer betraten, flackerte die nächstgelegene Kerze auf.
»Meister!«, rief einer der verhüllten Männer. »Wieder ein Eindringling, hier drüben!«
In der Mitte des Kreises der Zehn hockte ein elfter Mann. Er hielt sich sehr aufrecht und schlug die Kapuze zurück. Die dunklen Augen in seinem hageren, gut aussehenden Gesicht funkelten überheblich. Ayoni starrte ihn überrascht an.
»Im Namen der Mutter!«, sagte sie zu Chellour. »Das ist Lymbor cul-Mayr!«
Chellour starrte den Mann einen Augenblick an und nickte. »Der schäbige Junker höchstpersönlich. Ich wette, das ist seine Herde von Nacht-Geschöpfen … Ich bin zwar nicht sicher, was er vorhat, aber vielleicht sollten wir etwas Abstand halten …«
Cul-Mayr hatte ein kleines Blasrohr aus seiner Robe gezogen und schob gelassen einen kleinen, rotgefiederten Pfeil in das Mundstück. Die vier zogen sich hastig hinter die Mauer der Kammer zurück und landeten in einem dunklen, kurvigen Korridor, in dem ein anderer durchscheinender Mann umherschlenderte. Er trug einen Bart und grinste.
»Hab mich schon gefragt, wie lange es dauert«, meinte er. »Hat er einen seiner Pfeile nach Euch gespuckt?« »Das haben wir nicht abgewartet, Gilly«, erwiderte Bardow und wandte sich an Ayoni. »Ihr kanntet den Anführer dieser Männer? Was wisst Ihr über ihn?«
Ayoni betrachtete den Neuankömmling einen Moment. Das musste Gilly Cordale sein. Dann nickte sie. »Er ist ein verarmter Landjunker, der seinen ganzen Familienbesitz durch schlechte Geschäfte und Spielschulden verloren hat. Wir vermuteten schon eine Weile, dass cul-Mayr sich mit einer bösartigen Sekte eingelassen hat, den Nacht-Geschöpfen, aber wir hatten keine stichhaltigen Beweise … bis jetzt.«
»Gibt es eine Verbindung zwischen diesen Kultisten und der Armee, die auf der anderen Seite des Großen Kanals lagert?«,
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