03 - Sinnliche Versuchung
das
Daphne Sterling überlebt hat. Aber wenn dem so ist, wo ist sie dann die ganze
Zeit gewesen?«
Wieder herrschte
Stille. Weder Sebastian noch Justin und Julianna sagten ein Wort.
»Sie sagte, sie
wolle auf den Kontinent«, verkündete Sebastian mit sonderbarer Stimme. »Paris.
Venedig. Sie sagte, das Wetter würde herrlich sein.«
Justin wirbelte
herum. »Was! Sebastian? Wieso weißt du das?«
»Weil ich sie
abfahren sah. Ich habe gesehen, wie sie in die Kutsche stieg und Thurston Hall
verließ. Beide. Sie und ihren Liebhaber.«
Seine beiden
Geschwister starrten ihn verblüfft an.
»Ich weiß«, sagte
Sebastian ruhig. »Ich war zehn, richtig? Sie und Vater hatten sich in der Nacht
davor entsetzlich gestritten! Er wäre wütend gewesen, wenn er gewusst hätte,
dass ich sie gesehen habe. Über Ae und mich. Dann kam die Nachricht von ihrem
Tod.« Er schwieg eine Weile. »Keiner weiß es, außer Devon.«
Julianna war immer
noch sprachlos. Jahrelang hatte er dieses Geheimnis mit sich herumgetragen. Ihr
Herz flog ihm zu. Für keinen von ihnen war es einfach gewesen, mit dem Skandal
aufzuwachsen, dass ihre Mutter sie verlassen hatte. Und mit Vaters Härte. Diese
Nacht hatte ihr Leben verändert ... vielleicht sie alle!
Aber ihr wäre nie
in den Sinn gekommen, dass Sebastian dabei gewesen war. Dass er beobachtet
hatte, wie seine Mutter fortging, aus seinem Leben ging, um nie
mehrzurückzukehren. Unzumutbar für jedes Kind. Oh, wie muss das wehgetan haben!
Und wie tapfer er
gewesen war. »Sebastian«, flüsterte sie und ging unwillkürlich auf ihn zu.
»Sieh mich nicht so
an, Jules. Es ist gut. Wirklich.«
Er umarmte sie
rasch und zog sich wieder zurück.
Ein kleines Lächeln
erhellte Juliannas Gesicht. Dann schweifte ihr Blick zu Justin, der sie ernst
beobachtete. Er zwang sich zu einem Lächeln, aber der Gesichtsausdruck war
betrübt, die Haltung steif.
Julianna und
Sebastian tauschten einen besorgten Blick aus. Beide waren sich seiner Not
bewusst.
»Der Mann, der in
dieser Nacht bei ihr war«, sagte Dane, »ihr Begleiter. Wer war er?«
Sebastian
schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Wir waren Kinder. Spielt so etwas
in den Augen eines Kindes eine Rolle?«
Vollkommen richtig,
kommentierte Dane nüchtern für sich.
Justin war
merkwürdig still geblieben. »Angenommen, sie ist am Leben«, sagte er
plötzlich. »Angenommen, sie ist hier in London. Es stellt sich nicht nur die
Frage, wo sie all diese Jahre verbracht hat, sondern warum ist sie plötzlich
zurückgekehrt? Warum jetzt?«
»Eine sehr gute
Frage.« Dane spann den Gedanken weiter. »Nicht nur das, sondern auch mit wem
war sie gestern Abend zusammen?«
Sie sahen sich
fragend an.
Julianna sprach den
Gedanken aus, den jeder im Kopf hatte. »Der Mann von gestern Abend. Glaubt ihr,
dass es ihr Liebhaber war? Der Mann, mit dem sie damals weggegangen ist?«
Julianna begleitete
Sebastian und Justin eine Weile später zur Eingangshalle. Dane stand rechts von
ihr, daneben ein Tischchen mit einer Blumenvase.
Sebastian drehte
sich zu ihm um und streckte eine Hand aus. »Es ist freundlich von Ihnen, dass
Sie uns helfen wollen.« Dann schaute er ihm forschend in die Augen. »Darf ich
fragen, inwiefern Sie mit meiner Schwester bekannt sind?«
Ein kleines Lächeln
breitete sich langsam auf Danes Gesicht aus. »Gewiss«, antwortete er
entgegenkommend. »Ich habe die Absicht, sie eines Tages zu heiraten, und zwar
möglichst bald.«
Julianna blieb die
Luft weg.
Sebastian hob eine
Braue. »Das hättest du uns sagen können, Jules.«
»Ich glaube«, kam
Justin ihr zu Hilfe, »das ist neu für sie.«
»Nein«, entgegnete
Dane leise.
Auch Sebastian war
das kurze Aufblitzen in Juliannas Augen nicht entgangen. »Ah«, meinte er
schmunzelnd, »wohl ein Quell endloser Debatten?«
Das zur Debatte
stehende Paar sprach gleichzeitig.
»Ja!«, sagte sie.
»Nein!«, sagte er.
»Ah, ja«, sagte
Sebastian und nickte verständnisvoll.
Danes Lächeln wurde
breiter. »Sie muss sich noch an den Gedanken gewöhnen«, erklärte er. Er griff
nach ihrer Hand und führte sie an die Lippen.
»Das habe ich
bemerkt«, setzte Justin hinzu.
Mrs MacArthur
erschien mit den Spazierstöcken. Sie öffnete die Tür.
»Nun«, murmelte
Sebastian, als sie in das Sonnenlicht hinaustraten, »das war ein Tag der
Enthüllungen.« Er blickte zu Justin. »Was hältst du von Granville?«
»Ein
selbstbewusster Bursche.«
»Ja, das Finde ich
auch.« Sebastian sah zum Haus zurück.
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