03 - Tod im Skriptorium
Augen des Mannes weiteten sich vor Erstaunen. »Diese Schwester hier auch. Sie haben Schlimmes erlebt. Ich muß euch darauf hinweisen, daß sie mit der Gelben Pest in Berührung gekommen sind und deshalb sofort von eurem Arzt untersucht werden müssen. Inzwischen möchten mein Begleiter und ich zum Abt Brocc geführt werden.«
Der Mann stotterte vor Verblüffung, daß eine junge Nonne so viele Befehle erteilte, bevor ihr ordnungsgemäß die Gastfreundschaft der Abtei gewährt worden war. Seine Brauen zogen sich zusammen, und er öffnete den Mund zum Protest.
Fidelma schnitt ihm das Wort ab.
»Ich bin Fidelma von Cashel. Der Abt erwartet mich sicherlich«, setzte sie mit Bestimmtheit hinzu.
Der Mann stand mit offenem Mund da und schluckte wie ein Fisch. Als Fidelma ihre Gruppe an ihm vorbei durch das Tor führte, faßte er sich. Er eilte ihr nach auf den großen gepflasterten Hof.
»Schwester Fidelma … wir, das heißt …« Er war offensichtlich verwirrt von ihrem formlosen Eindringen. »Wir erwarten dich seit gestern oder so etwa. Wir wurden vorgewarnt … verständigt … dich zu erwarten … Ich bin Bruder Conghus, der aistreóir der Abtei. Was ist passiert? Wer sind diese Kinder?«
»Überlebende aus Rae na Scríne, das bei einem Überfall niedergebrannt wurde«, antwortete Fidelma knapp.
Der Mönch schaute von den mitleiderregenden Kindern zu Schwester Eisten. Plötzlich erkannte er sie.
»Schwester Eisten! Was ist passiert?«
Die junge Frau starrte gedankenverloren ins Leere und reagierte nicht.
Der Mönch wandte sich wieder an Fidelma; er war sichtlich durcheinander.
»Schwester Eisten ist in der Abtei wohlbekannt. Sie führte das Waisenhaus in Rae na Scríne. Bei einem Überfall zerstört, sagst du?«
Fidelma nickte bestätigend.
»Das Dorf wurde von einem Trupp angegriffen, den ein Mann namens Intat anführte. Nur Schwester Eisten und diese Kinder blieben am Leben. Ich verlange Asyl für sie.«
»Du hast auch etwas von der Gelben Pest gesagt«, erinnerte sie Bruder Conghus leicht verwirrt.
»Ich habe gehört, der Grund für diesen furchtbaren Überfall soll der Ausbruch der Gelben Pest in dem Dorf gewesen sein. Deshalb bitte ich darum, den Arzt der Abtei zu rufen. Fürchtet ihr euch hier vor der Gelben Pest?«
Bruder Conghus schüttelte den Kopf.
»Mit Gottes Hilfe sind die meisten in dieser Abtei bisher von ihr verschont geblieben. Im letzten Jahr trat die Pest viermal auf, hat aber nur wenige Opfer unter den Schülern hier gefordert. Wir fürchten die Krankheit nicht mehr. Ich kümmere mich darum, daß jemand die arme Schwester Eisten und ihre Schützlinge ins Gästehaus bringt. Dort wird man sie gut versorgen.«
Er winkte eine vorbeigehende Novizin heran, ein hochgewachsenes Mädchen mit etwas breiten Schultern und ungeschickter Haltung.
»Schwester Necht, führe diese Schwester und die Kinder in das Gästehaus. Sag Bruder Rumann, er soll Bruder Midach rufen, damit der sie untersucht. Dann sorge dafür, daß sie zu essen bekommen und sich ausruhen können. Ich werde gleich mit Midach sprechen.«
Seine Befehle erteilte er kurz und abgehackt. Fidelma bemerkte, daß das Mädchen zögerte und mit vor Überraschung offenem Munde Eisten und die Kinder anstarrte, die sie wohl erkannte. Dann riß es sich zusammen und beeilte sich, die Kinder und Eisten wegzuführen. Bruder Conghus wandte sich wieder Fidelma zu. »Bruder Midach ist unser leitender Arzt und Rumann unser Verwalter. Sie werden sich um Schwester Eisten und die Kinder kümmern«, erklärte er überflüssigerweise. Er wies über den Hof. »Ich bringe euch zum Abt. Kommt ihr direkt aus Cashel?«
»Ja«, bestätigte Cass, während sie ihm folgten. Als Krieger wies er auf etwas hin, was Fidelma versäumt hatte. »Unsere Pferde müssen trockengerieben und gefüttert werden, Bruder.«
»Ich versorge eure Pferde, sobald ich euch zum Abt geführt habe«, antwortete Conghus.
Der Torhüter der Abtei eilte mit unziemlicher Hast über den gepflasterten Hof und durch die Gebäude und drängte sie von Zeit zu Zeit, ihm schneller zu folgen. Fidelma und Cass gingen jedoch in einem gemächlicheren Tempo, denn sie waren müde. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, aber endlich stiegen sie die Treppe zu einem großen, etwas abseits liegenden Haus empor, der aistreóir verhielt vor einer dunklen Eichentür und machte ihnen ein Zeichen zu warten, während er anklopfte und durch die Tür verschwand. Nach wenigen Augenblicken erschien er wieder und
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