03 - Tod im Skriptorium
sich mehrere Leute, die sich nach ihr umwandten und untereinander flüsterten. Ein Diener kam herbei, nahm ihr die Tasche ab und half ihr aus dem Reisemantel. Sie warf das regendurchweichte Kleidungsstück von den Schultern und ging eilig zum Feuer, um sich zu erwärmen. Der Diener erklärte ihr, ein anderer bringe Colgú die Nachricht, daß sie eingetroffen sei.
Unter den Leuten, die in der großen Halle des Palastes herumstanden und ihre durchnäßte Gestalt neugierig musterten, fand Fidelma nicht ein freundliches, vertrautes Gesicht. Es herrschte eine Atmosphäre gezwungener Feierlichkeit. Ja, sie meinte eine gewisse Melancholie, sogar Feindseligkeit zu spüren. Ein düster dreinblickender Mönch stand mit wie zum Gebet gefalteten Händen neben dem Feuer.
»Gott schenke dir einen guten Tag, Bruder«, grüßte Fidelma ihn lächelnd in dem Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen. »Warum sieht man hier so viele lange Gesichter?«
Der Mönch wandte sich um und starrte sie an, wobei seine Miene noch kummervoller wurde.
»Du erwartest doch wohl keine Lustbarkeiten in einer Zeit wie dieser, Schwester?« erwiderte er tadelnd und wandte sich ab, ehe sie eine Erklärung verlangen konnte.
Fidelma war einen Moment verblüfft, dann sah sie sich nach einer gesprächigeren Person um.
Sie bemerkte, daß ein Mann mit einem spitzen Gesicht sie arrogant anstarrte. Als sie seinem hochmütig prüfenden Blick begegnete, kam ihr eine Erinnerung. Bevor sie sie aussprechen konnte, kam der Mann auf sie zu.
»Aha, Fidelma von Kildare«, sagte er mit spröder Stimme und ohne Wärme, »also hat wohl dein Bruder Colgú dich kommen lassen?«
Fidelma war überrascht von seinem unfreundlichen Ton, doch antwortete sie mit einem Lächeln, als sie den Mann erkannte.
»Ich begrüße dich als Forbassach, Brehon des Königs von Laigin. Was machst du so weit von Fearna entfernt?«
Der Mann erwiderte ihr Lächeln nicht.
»Du hast ein gutes Gedächtnis, Schwester Fidelma. Ich habe von deinen Taten am Hofe des Königs Oswy von Northumbrien gehört und von dem Dienst, den du in Rom geleistet hast. Aber in diesem Königreich wird dir dein Talent nichts nützen. An dem Urteil wird deine berühmte Schlauheit nichts ändern können.«
Fidelma merkte, wie ihr Lächeln einfror. Es war ihr, als sei sie in einer fremden Sprache angeredet worden. Brehon Morann von Tara hatte sie ermahnt, daß ein guter Anwalt niemals seinen Gegner erraten lasse, was er denke, und Forbassach gab ihr deutlich zu verstehen, daß er ihr Gegner sei, doch in welcher Hinsicht, das war ihr nicht klar.
»Ich bin sicher, Forbassach von Fearna, daß deine Worte einen tiefen Sinn haben, nur verstehe ich ihn nicht«, antwortete sie langsam und deutete wieder ein Lächeln an.
Forbassachs Gesicht rötete sich.
»Wirst du unverschämt, Schwester? Du bist Colgús leibliche Schwester, und doch tust du so, als ob …«
»Verzeihung, Forbassach.«
Eine ruhige männliche Stimme unterbrach den aufsteigenden Zorn in der Stimme des Brehons.
Fidelma blickte auf. Neben ihr stand ein junger Mann ungefähr in ihrem Alter. Er war hochgewachsen, fast sechs Fuß groß, und trug Kriegertracht. Er war glattrasiert, hatte welliges dunkles Haar und schien auf den ersten Blick auf eine rauhe Art hübsch zu sein. Seine Züge waren angenehm und anziehend. Sie hatte keine Zeit, ihn genauer zu betrachten. Sie bemerkte, daß er einen Halsreifen von gedrehtem Gold mit reichen Verzierungen trug, der ihn als Mitglied des Ordens vom Goldenen Halsreifen auswies, der ausgewählten Leibgarde der Könige von Muman. Er wandte sich mit einem freundlichen Lächeln an sie.
»Verzeihung, Schwester Fidelma. Ich habe den Auftrag, dich in Cashel willkommen zu heißen und dich sofort zu deinem Bruder zu führen. Wenn du so gut sein würdest, mir zu folgen …?«
Sie zögerte, doch Forbassach hatte sich grollend einer kleinen Gruppe zugewandt, die murmelnd zusammenstand und Blicke in ihre Richtung warf. Fidelma war ratlos. Doch sie ging darüber hinweg, folgte dem jungen Krieger durch die Halle und beeilte sich, um mit seinem ruhigen, aber ausladenden Schritt mitzuhalten.
»Das verstehe ich nicht, Krieger.« Sie keuchte ein wenig im Bestreben, neben ihm zu bleiben. »Was tut Forbassach von Fearna hier? Weshalb ist er so verärgert?«
Der Krieger gab einen Laut von sich, der sehr einem verächtlichen Schnaufen ähnelte.
»Forbassach ist der Gesandte des neuen Königs von Laigin, des jungen Fianamail.«
»Das erklärt
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