03 - Winnetou III
diese zu sprechen?“
„Weiß auch nicht. Müßt einmal eins der Mädchen fragen!“
Damit wandte er sich ab. Er schien zur Señora in ganz demselben Verhältnis zu stehen, wie der Ranchero Fernando de Venango zu Doña Eulalia, ihrer Schwester. Ich erhob mich also und steuerte derjenigen Himmelsrichtung zu, aus welcher sich ein höchst einladender Bratenduft über das ganze Etablissement verbreitete. Dabei traf ich wirklich auf eine kleine, schlanke Frauensperson, welche mit irgend etwas in der Hand vorbeihuschen wollte. Ich ergriff sie beim Arm und hielt sie fest.
„Wo ist die Señora, meine Kleine?“
Ihre dunklen Augen blitzten mich zornig an.
„Vous êtes un âne!“
Aha, eine Französin! Sie riß sich höchst indigniert los und eilte fort. Ich steuerte weiter. An der Ecke eines Tisches traf ich mit einer zweiten Hebe zusammen.
„Mademoiselle, wollen Sie mir wohl sagen, ob die Señora zu sprechen ist?“
„I am not mademoiselle!“
Weg war sie. Also eine Engländerin oder Amerikanerin! Aber wenn ich so der Reihe nach alle Nationalitäten durchzugehen hatte, ehe ich zu meiner Señora gelangen konnte, so kam ich vor abends nicht zu ihr! Doch da drüben stand eine, die mir mit den Augen folgte und – ja wirklich, dieses Gesicht mußte ich schon gesehen haben! Ich stach von neuem in See und hielt direkt auf sie zu; aber noch hatte ich sie nicht ganz erreicht, so schlug sie die Hände zusammen und sprang auf mich los, als ob sie es darauf abgesehen habe, mich in den Sand zu rennen.
„Herr Nachbar, ist's möglich? Fast hätte ich Sie gar nicht erkannt, so einen Bart lassen Sie sich hier stehen!“
„Alle Wetter. Gustel, Eberbachs Gustel! Beinahe hätte auch ich Sie nicht erkannt, so herausgewachsen sind Sie! Aber wie kommen Sie von daheim herüber nach Amerika, nach Kalifornien?“
„Die Mutter starb, kurz nachdem Sie wieder einmal in alle Welt gegangen waren; da kam ein Agent, und der Vater ließ sich bereden. Es ging anders, als er dachte. Er ist jetzt mit den Brüdern da oben, wo so viel Gold liegen soll, und hat mich hier gelassen, wo ich es gut habe und warten werde, bis sie zurückkehren.“
„Wir werden uns noch weiter sprechen; jetzt aber sagen Sie mir einmal, wo die Señora zu finden ist! Ich habe zwei Ihrer Kolleginnen nach ihr gefragt und nur Grobheiten als Antwort erhalten.“
„Das ist leicht erklärlich, denn die Madame darf nur Doña genannt werden, am liebsten Doña Elvira.“
„Werde es beherzigen! Also, ist sie zu sprechen?“
„Ich will einmal nachsehen. Wo sitzen Sie?“
„Dort am zweiten Tisch.“
„Gehen Sie hin; ich werde Sie benachrichtigen, Herr Nachbar!“
Das war wieder eines jener wunderbaren Zusammentreffen, deren ich so viele zu verzeichnen habe. Ihr Vater und der meinige waren Nachbarn und beide hatten sich gegenseitig Gevatter gestanden. Jetzt stak der alte Tischlermeister droben in den Goldminen; seine beiden Söhne, von denen der ältere mein Schulkamerad war, befanden sich bei ihm, und im ersten Wirtshaus, welches ich hier in San Francisco betrat, mußte ich seine Jüngste finden, die Gustel, die mir, als ich sie noch auf den Armen trug, immer das dicke, dichte Haar zerzauste, daß es kerzengerad in die Höhe stand. Dann lachte sie und pinselte mir mit dem kleinen Näschen im Gesicht herum – ich hätte damals nicht gedacht, daß wir uns einmal in Kalifornien sehen würden!
Sie kam bereits nach kurzer Zeit zu mir.
„Die Señora will Sie sehen, obgleich sie eigentlich jetzt ihre Sprechstunde nicht hat.“
„Sprechstunde? Eine Wirtin?“
Gustel zuckte die Achsel.
„Sie hat sie aber, und zwar täglich zweimal: morgens von elf bis zwölf und nachmittags von sechs bis sieben. Wer außer dieser Zeit kommt, muß warten, wenn er nicht gut empfohlen ist.“
„Aha, danke schön!“ lachte ich. „Man glaubt gar nicht, was eine freundliche Nachbarin zu bedeuten hat!“
„Nicht wahr? Na, da kommen Sie!“
Die Sache hatte ganz den Anstrich, als ob ich eine Audienz bei einer hervorragenden politischen oder sonstigen Größe haben sollte. Ich wurde in einen anstoßenden kleinen Raum geführt, welcher ganz à la Vorzimmer ausgestattet war, und in dem ich nach Gustels Weisung so lange warten sollte, bis hinter der daselbst befindlichen Portiere eine Klingel ertönen werde.
Das war höchst interessant, zumal ich beinahe eine halbe Stunde warten mußte, bis das Zeichen gegeben wurde. Ich trat ein und befand mich in einem Zimmer, welches mit einer
Weitere Kostenlose Bücher