03 - Winnetou III
befand. Es war, als ob ich mich von seinem Grab gar nicht trennen könnte. Ich saß in den ersten Tagen schweigend bei demselben und sah dem regen Treiben der Menschen zu, welche an der neuen Niederlassung arbeiteten. Ich sage, ich sah zu, aber eigentlich sah ich nichts. Ich hörte ihre Stimmen, und dennoch hörte ich nichts. Ich war geistesabwesend. Mein Geisteszustand glich demjenigen eines Mannes, der einen Hieb auf den Kopf erhalten hat und, nur halb betäubt, alles wie von weitem hört und alles wie durch eine mattgeschliffene Glasscheibe sieht. Es war ein wahres Glück, daß die Roten unsere Spur nicht gefunden hatten und also unseren jetzigen Aufenthalt nicht entdeckten! Ich war jetzt nicht der Mann, es mit ihnen aufzunehmen. Oder wäre es doch vielleicht möglich, daß mich eine solche Gefahr aus meiner Selbstverlorenheit aufgerüttelt hätte? Vielleicht!
Die guten Leute gaben sich Mühe, mir Interesse für ihr Tun und Treiben abzugewinnen, aber der Erfolg trat nur langsam ein. Es verging eine halbe Woche, ehe ich mich aufraffte und ihnen bei der Arbeit half. Die wohltätige Wirkung davon ließ nicht auf sich warten; man mußte mir zwar jedes Wort abgewinnen, doch stellte sich die alte Tatkraft wieder ein, und ich war bald derjenige, nach dessen Rat und Ansicht sich die andern richteten.
Das währte zwei Wochen, dann sagte ich mir, daß ich nicht länger bleiben dürfe. Das Testament des Freundes zog mich fort, nach dem Nugget-tsil, wo wir Intschu tschuna und seine schöne Tochter begraben hatten. Auch war es meine Pflicht, nach dem Rio Pecos zu reiten und die Apachen von dem Tod des berühmtesten und besten ihrer Häuptlinge zu unterrichten. Zwar wußte ich, wie schnell die Kunde von einem solchen Ereignis über die Prärie zu laufen pflegt – sie konnte schon vor mir dort eintreffen – aber ich mußte doch selbst hin, weil ich als der Augenzeuge der traurigen Begebenheit der sicherste Berichterstatter war. Die Ansiedler brauchten mich nicht notwendig, und wenn sie ja einen geübten Westmann nötig hatten, so durften sie sich an Walker wenden, welcher entschlossen war, einige Zeit bei ihnen zu bleiben. Es gab einen herzlichen Abschied von den braven Leuten, und dann trat ich den weiten Ritt auf meinem Schwarzschimmel an, der sich gut ausgeruht hatte.
Ein anderer an meiner Stelle wäre wohl bemüht gewesen, auf seinem Weg möglichst viele Punkte zu berühren, wo es Menschen gab; ich tat das Gegenteil und mied dergleichen Orte; ich wollte niemand sehen, wollte allein mit meiner Trauer sein.
Dieser Wunsch wurde mir bis zum Beaver-Creek des Nordcanadian erfüllt, wo ich ein sehr gefährliches Zusammentreffen mit To-kei-chun, dem Häuptling der Comanchen, hatte, dem wir damals so glücklich entgangen waren. Während wir uns im Norden mit den Sioux herumgeschlagen hatten, war im Süden von den Comanchen wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben worden, und To-kei-chun hatte sich mit siebzig Kriegern nach dem ihnen heiligen Makik-Natun (Gelber Berg) aufgemacht, um bei den dort befindlichen Häuptlingsgräbern den Kriegstanz aufzuführen und die ‚Medizin‘ zu befragen. Dabei waren ihm mehrere Weiße in die Hände gefallen, die an dem Marterpfahl sterben sollten; es gelang mir aber, sie ihm zu entreißen. Dieses Erlebnis jedoch übergehe ich hier, weil es in keiner Beziehung zu Winnetou steht, und werde es bei einer späteren Gelegenheit erzählen. Ich brachte diese Weißen bis an die Grenze von Neu-Mexiko, wo sie sich in Sicherheit befanden, und hätte von dort aus eigentlich direkt nach dem Rio Pecos gekonnt; aber das Testament Winnetous war mir zu wichtig, als daß ich über dasselbe noch länger hätte in Ungewißheit sein mögen, und so richtete ich meinen Ritt nach Südosten, um zunächst den Nugget-tsil aufzusuchen.
Dieser Weg war gefährlich, denn er führte mich durch das Gebiet der feindlichen Comanchen und dasjenige der Kiowas, vor denen ich mich erst recht nicht sehen lassen durfte. Ich traf auch auf verschiedene Fährten und Spuren, nahm mich aber außerordentlich in acht und kam glücklich und unbemerkt bis in die Nähe des Gualpaflusses. Dort stieß ich auf Hufeindrücke, die genau die Richtung hatten, welche die meinige war. Ich wollte mich von Roten nicht sehen lassen und mit Weißen nicht abgeben, hätte also von dieser Fährte abweichen sollen. Aber da wäre ich zu einem Umweg gezwungen gewesen, und es war ja auch wichtig, zu erfahren, ob hier Indianer oder Bleichgesichter geritten
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