030 - Bei den drei Eichen
sie endlich ihren Satz »Ich erklärte ihm, daß ich sein Haus verlassen würde, und er antwortete, daß ich sofort gehen könne. Ich habe mich dann umgezogen und bin heimlich aus dem Haus geschlüpft,« »Ich habe Sie gesehen«, warf Socrates ein. »Oh, haben Sie aus dem Fenster geschaut?« »Wir beide, mein Bruder und ich. Aber ich will Sie nicht unterbrechen, bitte, berichten Sie weiter.«
»Der einzige Mensch, zu dem ich vorläufig flüchten konnte, war Mr. Jetheroe. Er hatte mir oft versprochen, daß er mir behilflich sein werde, einen Lebensunterhalt zu finden, falls ich einmal von hier fortgehen wollte.« »Einen Augenblick«, unterbrach Socrates von neuem. »Verständigten Sie sich mit ihm durch Signale?«
»Signale?« Sie schaute ihn ganz bestürzt an. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Ich meine, ob Sie Erfahrung haben in der Anwendung des Morse-Codes durch Lichtsignale?«
»Nein, von Telegrafíe habe ich keine Ahnung«, lächelte das Mädchen.
»Also haben Sie ihm nie Signale gegeben?«
»Niemals.«
»Und ebensowenig er Ihnen?«
»Nicht, daß ich wüßte. Und wenn, dann wäre es für mich bedeutungslos gewesen, weil ich ja nichts davon verstanden hätte.«
»Gut. Was ereignete sich dann?«
»Ich schlug den nächsten Weg zur Weißen Villa ein, den Pfad durchs Tal. Hunderte von Malen bin ich dort entlanggegangen, ohne je Angst gehabt zu haben. Aber gestern Nacht bin ich das Gefühl nicht losgeworden, daß mich jemand beobachtete.«
»Wieviel Zeit lag zwischen dem Ende Ihrer Unterredung mit Mandle und Ihrem Aufbruch?«
»Etwa eine halbe Stunde.«
»Und Sie glaubten, beobachtet zu werden?«
»Ich könnte darauf schwören, daß ich einen Mann durchs Buschwerk schleichen sah. Als ich dann auch noch Schritte hinter mir hörte, begann ich zu rennen. Dabei bin ich beim Quell vom Weg abgekommen, geriet in den Morast und verlor dabei einen Schuh.«
»Mr. Jetheroe war wohl noch nicht schlafen gegangen?«
»Nein. Er hat mir selbst die Tür aufgemacht und . . .« Sie stockte plötzlich. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das alles erzählen soll. Haben Sie Mr. Jetheroe inzwischen gesprochen?«
Socrates bejahte. »Er hat sich die größte Mühe gegeben, Sie zu schützen und nicht zu verraten, wohin Sie gegangen waren.«
»Ich habe die Nacht auf dem Sofa seines Arbeitszimmers verbracht«, nahm Molly ihren Bericht wieder auf. »Um vier Uhr weckte er mich, und um fünf Uhr bin ich auf meinem Fahrrad nach London abgefahren. Er hatte mich gut versorgt mit Geld und Empfehlungen an seine Geschäftsfreunde, die mir helfen sollten, eine Beschäftigung zu finden . . . Sie können sich nicht vorstellen, wie gütig Mr. Jetheroe zu mir war. Er wollte mir sogar eine monatliche Geldzuwendung anweisen, damit ich überhaupt nicht zu arbeiten brauchte, und er war sehr ungehalten, als ich dies nicht annehmen wollte. Das ist alles, Mr. Smith. Jetzt möchte ich hinaufgehen, um mich umzukleiden. Ist ... ist. . .?«
Socrates erriet, was sie wissen wollte.
»Nein, Miss Templeton, er ist nicht mehr da. Man hat ihn nach Haslemere überführt.«
»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte Stein, sobald sich die Tür hinter Molly geschlossen hatte.
»Sie hat natürlich die Wahrheit gesagt.«
»Was denken Sie denn sonst?« rief Bob Stein empört, und zum erstenmal empfand Lexington für den Exsergeant etwas wie Sympathie. »Glauben Sie, daß sie überhaupt eine Lüge über ihre Lippen bringen könnte?«
»Jeder Mensch kann lügen, Stein - das ist ein Talent, mit dem die gesamte Menschheit versehen ist... Und das Mädchen glaubt, daß es seinen Stiefvater nach der Szene im Wohnzimmer nicht mehr gesehen hat!« fügte er grübelnd hinzu.
»Das stimmt doch auch«, bemerkte Lexington.
»Sie hat ihn aber wiedergesehen, Lex. Sie hat ihn wiedergesehen, aber sie wußte nicht, daß er es war. Der Mann, der im Gebüsch lauerte, als sie vorbeikam, war John Mandle!«
Diese Behauptung verschlug seinen Zuhörern die Sprache.
»Es war John Mandle!« wiederholte Soc hartnäckig.
»Sie sind ja verrückt, Soc«, brach Stein endlich los. »Wie konnte es Mandle sein . . . Mandle, der nicht imstande war, auch nur einen Schritt zu gehen.«
»Er war es dennoch«, beharrte Smith.
»Wollen Sie behaupten, daß sich gestern Nacht ein Wunder vollzogen hat?«
Socrates steckte sich gelassen eine schwarze, nicht gerade lieblich duftende Zigarre an.
»Es waren sogar zwei Wunder! Und beide sind sehr leicht zu erklären, nur bin ich im Augenblick nicht
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