030 - Die mordende Anakonda
Plötzlich fand auch er etwas. Die zusammengepressten Schuhe von Mrs.
Queshon. Deutlich sichtbar Schleimfäden und Blutspuren ...
Poul hörte ein Geräusch neben sich und wirbelte herum. Donald, sein Bruder,
stand hinter ihm.
»Ich glaube, es ist besser, wir verschwinden hier«, meinte Donald. Er
starrte auf die Ausläufer des nahen düsteren Waldes, der so dicht stand, dass
selbst die Sonnenstrahlen Mühe hatten, das Blattwerk zu durchdringen. Aus der
Stimme Donalds, des älteren Bruders, waren deutlich Ratlosigkeit und Angst
herauszuhören. »Wir haben nichts gehört, Poul, verstehst du ?«
Poul Fhool schluckte. »Aber Don, ich ...«
Donald legte die Hand auf die Schulter des jüngeren Bruders. »Ich glaube,
wir verstehen uns?« Es war etwas Zwingendes und Überzeugendes im Blick des
Sprechers. Man merkte, dass Donald Fhool ein typisches Kind dieser Insel war.
Geboren in einem winzigen Dorf auf einer kleinen Insel, vollgestopft mit dem
Wissen und den Erzählungen der Alten, die vor ihm hier existiert und ihre
Jugend verbracht hatten. Die irischen Inseln und Seen hatten einen legendären
Ruf. Der Aberglaube der einfachen und bescheidenen Leute war schon bekannt –
der auf den Inseln aber war sprichwörtlich. Es gab nirgends so viele
Geschichten über Geistererscheinungen und phantastische Geschehnisse, die
angeblich wahr sein sollten, wie hier auf den winzigen Inseln, die wie Perlen
einer Kette das Festland von Irland flankierten, das selbst nur eine große
Insel war.
Poul starrte hinunter auf die zusammengedrückten Schuhe, die aus einer
Presse gerutscht zu sein schienen. Dann nickte er. »Okay, Don. Ich glaube, du
hast recht. Wir haben nichts gehört,
und wir haben auch nichts gesehen!«
●
Sioban McCorkan kam vom oberen Stockwerk herunter.
Sie sah frisch und ausgeruht aus.
Die erste Nacht in diesem Haus war ihr bekommen. Sie hatte gut und tief
geschlafen.
Aus der Küche der Parterrewohnung vernahm sie das Rauschen kochenden
Wassers.
Die junge, attraktive Irin, die ein Kleid aus zitronengelbem Leinen trug, warf
einen Blick um den Türpfosten.
Der sympathische Holländer stand am Gaskocher und nahm gerade den alten
Kessel herunter, um sich einen Kaffee zu überbrühen.
»Guten Morgen!«, sagte die Irin.
Henrik van Heyken drehte sich herum. »Guten Morgen! Wie geht es Ihnen? Ich
hoffe, mein Schnarchen hat Sie nicht aufgeweckt, nachdem Sie gestern Abend
feststellten, dass unsere Schlafzimmer genau untereinander liegen.«
Sioban lachte, und der blonde Holländer konnte die Blicke nicht von dem
hübschen Mädchen wenden.
»Ich habe jedenfalls nichts gehört.«
»Dann haben Sie einen verdammt tiefen Schlaf ... Sie kommen gerade
richtig«, fuhr er fort. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten? Wasser ist
genug vorhanden ...«
Sioban lachte. Es war eigenartig. Sie verstand sich mit diesem fremden
jungen Maler, als wären sie schon seit vielen Monaten zusammen. Es gab keine
Schwierigkeiten zwischen ihnen, und sie konnte sich nicht erinnern, auch nur
einen Augenblick Angst davor gehabt zu haben, mit dem Holländer allein in
diesem Haus zu sein.
Gestern Abend hatten sie noch darauf gewartet, dass vielleicht Mister James
Beam seinen allmonatlichen Besuch machte. Aber der Ire war nicht heimgekommen.
Henrik van Heyken hatte die Tatsache als selbstverständlich hingenommen,
dass Sioban in diesem Haus verblieb, obwohl Beam nichts davon wusste.
»Das kommt oft vor«, hatte der Maler gemeint. »Dieses Haus steht jedem
offen, der davon weiß.«
Durch ihre Freundin in Dublin hatte Sioban das schon erfahren, und so
machte sie sich weiter keine Gedanken darüber.
»Irgendwann in den nächsten Tagen wird er schon auftauchen«, meinte Henrik
auch jetzt, während er zwei alte Tassen vom Regal nahm. Sioban ging ihm zur
Hand und schwenkte sie unter dem heißen Wasser erst ab. »Danke. – Beam ist ein
eigenartiger Kauz. Er hat ja noch ein zweites Häuschen, ganz in der Nähe. Aber
er liebt es nicht, wenn man dorthin kommt, um sich anzumelden. Ich habe sogar
gehört, dass er gar nicht aufmacht, wenn man anklopft.« Es war, als hätte der
Maler in den Augen der jungen Irin ihre Gedanken abgelesen. »Machen Sie sich
nur keine Sorgen! Es ist alles okay so.«
Während Sioban dem Maler behilflich war, das Frühstück zu bereiten,
plauderte er schon wieder über seine Bilder. Sein Kopf schien nur mit Arbeit
und Ideen angefüllt zu sein. Die Irin musste an den gestrigen Tag denken. Wie
viele Bilder hatte sie
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