0305 - Im Rattentempel
den Ratten zu unterhalten.«
»Es ist Baron von Tirano?«
»Möglich.«
»Du hast ihn also nicht gesehen?« forschte Mandra weiter.
»Nein, nie.«
Aber wir kannten den Baron. Verdammt gut sogar. Er besaß tatsächlich Macht über die Nager, das hatte er uns auf dem Maskenball der Monster bewiesen. Wir wußten, wie gefährlich er war, und durften ihn keinesfalls unterschätzen.
Im nächsten Augenblick gelang dem Fakir wieder eine Überraschung.
Mandra war durch das Gespräch abgelenkt worden und hatte auch nicht damit gerechnet, daß Lakana es noch einmal versuchen würde. Dennoch startete er und überraschte uns.
Wieder bewegte er sich so seltsam froschartig.
Mandra und Suko wollten ihn festhalten, beide kamen zu spät und griffen ins Leere.
In einem Halbbogen hob der Fakir vom Boden ab. Sein Ziel war das Nagelbrett, auf das er bäuchlings fiel.
Sein Schrei zitterte durch die Hütte.
Im nächsten Augenblick sahen wir das Blut. Es quoll aus zahlreichen kleinen Wunden, die ihm die Nägel beigebracht hatten. Der Lebenssaft rötete das Nagelbrett auf eine makabre Weise. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen lag der Fakir auf den Nägeln und rührte sich nicht mehr.
Mandra und Suko standen daneben. Sie hoben die Schultern. Ihre Gesichter waren starr.
Ich kam hinzu. »Hat er sich selbst umgebracht?« erkundigte ich mich.
Mandra nickte. »Alles deutet darauf hin.«
»Weshalb?«
»Er kam sich eben vor wie ein Versager. Das ist für mich die einzige Erklärung.«
»Oder wie ein Verräter«, fügte Suko hinzu.
»Auch das.«
Noch einmal hob Lakana den Kopf. Es bereitete ihm Mühe, das sahen wir. Er drehte ihn sogar zur Seite, so daß wir in sein blutiges Gesicht schauen konnten.
Die Lippen formulierten heisere Worte. Wir verstanden sie nicht, Mandra mußte übersetzen.
»Er sagt, daß wir es nicht schaffen werden und daß er sich auf den Tod freut. Vielleicht verzeiht ihm Karni-Mata, so daß er in seinem nächsten Leben als Ratte wiedergeboren wird. Es wäre das höchste Glück für ihn.«
Das war es also. Ich stand daneben und begriff die Welt nicht mehr.
Wieder einmal wurde mir der Unterschied zwischen Orient und Okzident drastisch vor Augen geführt.
»Eine Frage habe ich noch«, wandte ich mich an meinen indischen Freund. »Wie ist es möglich, daß ihn die Nägel töten konnten und bei unserem Eintritt nicht?«
Mandra runzelte die Stirn. »Ein Fakir hat es gelernt, seinen Körper zu beherrschen. Er kann dies auch steuern. Als er merkte, daß er zum Verräter geworden war, ging er in den Tod. Natürlich in dem festen Glauben, wiedergeboren zu werden.«
»Und wir?« fragte Suko.
»Sehen uns den Rattentempel an«, erwiderte ich.
Mandra fügte hinzu. »Das will ich wohl meinen!«
***
Hakim fürchtete sich, denn er schaute auf ein unheimliches Bild.
Vor ihm stand eine Gestalt, von der er nie geglaubt hatte, daß es so etwas geben würde.
Ein Vampir. Ein Wesen, das sich vom Blut anderer Menschen ernährte. Das war unfaßbar, unbegreiflich, aber nicht wegzuleugnen, denn der seltsame Baron präsentierte seine beiden spitzen Vampirzähne.
Das Licht zuckte über sein Gesicht. Hatte es zuvor noch bleich ausgesehen, so nahm es nun einen rötlichen Schein an, der Hakim an Blut erinnerte. So etwas paßte zu einem Vampir, und der Wildhüter wußte auch, weshalb dieses Wesen nicht geatmet und keinerlei Erschöpfung gezeigt hatte. Vampire waren wie Roboter.
Man konnte sie nur stoppen, indem man sie pfählte. Das wußte auch Hakim.
»Weißt du nun Bescheid?« fragte der Baron.
»Ja.«
Der Vampir lächelte. Dabei zog er seine Lippen noch weiter zurück.
»Den Ratten hättest du vielleicht entkommen können«, flüsterte er, »aber mir nicht. Ich lasse kein Opfer aus, das ich einmal aufs Korn genommen habe, das kann ich dir versprechen.«
Hakim hatte sich wieder einigermaßen gefangen und traute sich auch, Fragen zu stellen. »Was hat ein Vampir mit den Ratten der Karni-Mata zu tun?«
»Normalerweise nichts, aber bei mir ist das etwas anderes. Ich war lange genug mit den Ratten eingeschlossen. Sie wurden zu meinen Freunden, und mir gelang es, ihre Sprache zu lernen. Ich wußte genau, was sie wollten, und sie sorgten auch dafür, daß ich aus meinem Gefängnis befreit wurde. Ja, ich kam frei, und ich hörte von meinen Freunden, daß sie eine Königin im fernen Indien haben. Sie liegt in einem Rattentempel und muß nur noch erweckt werden, denn ihr Thron ist freigehalten worden. In mir reifte sofort der
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