0305 - Im Rattentempel
lieber 1 000 Meilen weit weg gewünscht.
Von den Ratten war auch nichts zu hören und zu sehen. Sie blieben verschwunden, hatten sich in der Finsternis versteckt und lauerten auf die Erweckung ihrer Königin.
Hakim kalkulierte sie als Gegner ein, deshalb unternahm er auch keinen Fluchtversuch.
Sie stießen tiefer in den unheimlichen Rattentempel hinein, ohne irgend etwas sehen zu können. Hakim kam sich vor wie in einem Tunnel. Jeder Tunnel hat einmal ein Ende, so war es auch hier.
Nur führte der Weg nicht ins Freie, er endete vor einer Mauer.
Gewaltig und hoch war die Wand. Das Licht der kleinen Flamme warf seinen tanzenden Widerschein über die fest zusammengefügten Quader und stieß hinein in einen Durchgang, wobei es danach von der Finsternis verschluckt wurde.
Den Durchgang konnte man auch als eine große Tür oder Portal bezeichnen.
Rechts und links entdeckte der Wildhüter bei genauerem Hinsehen zwei menschenhohe Abdrücke. Man hatte sie naturgetreu in das Gestein gemeißelt, und diese Abdrücke zeigten zwei Ratten.
Stumme, unheimliche Wächter vor dem Tor zur Grabkammer von Karni-Mata, einer unheimlichen Rattenkönigin.
Hakim mußte stehen bleiben. Er schaute nicht auf das Tor, sondern die Abbildungen der Ratten an.
Ungemein echt erschienen ihm diese Tiere. Sogar die Augen waren zu erkennen. Sie schimmerten heller als der übrige Kopf, und es schien so, als hätte der Künstler, der die Ratten in den Stein gemeißelt hatte, Perlen hineingesteckt.
Hakim hörte die Schritte des Vampirs hinter sich. Der Blutsauger trat dicht an ihn heran, berührte ihn allerdings nicht, sondern streifte seinen Rücken, um rechts neben ihm stehen zubleiben.
Auch der Wildhüter drehte ein wenig den Kopf.
Er hatte mal davon gehört, daß Vampire keinen Schatten werfen.
Dies bewahrheitete sich, denn das Wesen an seiner Seite war tatsächlich schattenlos.
Der Baron von Tirano streckte seinen freien Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger in die dunkle Höhle. Flüsternd drangen die nächsten Worte über seine Lippen. »Dort liegt sie!« hauchte er. »Genau in diesem Teil des Tempels hat Karni-Mata ihr Grab bekommen, und sie wartet auf ihre Erweckung, die wir nun vornehmen.«
Hakim nickte. Sein Hals war von innen trocken geworden. Er ballte die Hände. Die nächste Frage war wohlüberlegt. »Wo befinden sich die Ratten, die uns begleitet haben?«
»Auch bei ihr.«
Auf eine solche oder ähnliche Antwort hatte er gehofft. Wenn die kleinen Bestien in der Höhle steckten, waren sie von ihm ziemlich weit entfernt. Da konnte er eigentlich einen Fluchtversuch wagen.
Den Weg zurück kannte er ja, und er würde ihn auch in der Dunkelheit finden.
Hakim schaute den Blutsauger an.
Dessen Gesicht lag in einem Wechselspiel aus rotem Licht und dunklen Schatten. Die Augen hatten dabei eine besondere Farbe angenommen, weil sich in ihren Pupillen die Flamme der Kerze zeigte.
Der Vampir schien Gedanken lesen zu können. Vorsichtig schüttelte er den Kopf. »Es hat keinen Sinn, wenn du an Flucht denkst. Ich habe deine Frage nach den Ratten genau begriffen, aber es lohnt sich nicht. Die Tiere sind immer schneller als du.«
»Ich habe nichts von Flucht gesagt.«
»Aber gedacht«, erklärte der Blutsauger. »Ich kenne euch Menschen, denn ich konnte euch lange genug studieren. Hör genau zu! Du gehst jetzt hinein und bis zum Grab der Rattenkönigin vor. Hast du mich genau verstanden?«
Hakim nickte.
»Dann los!« Der Vampir unterstrich seine Aufforderung mit einem Druck gegen das Schulterblatt des Mannes. Hakim konnte sich nicht länger sträuben.
Er schritt vor wie eine Puppe. So steif, so hölzern. Eine automatische Reaktion, denn ihm war klargeworden, daß er nun nicht mehr zurückkonnte.
Die unheimliche Düsternis einer zweiten Höhle verschluckte ihn.
Der Vampir blieb dicht hinter dem Mann. Nur einen Schritt Zwischenraum ließ er, und unter seinen Schuhen knirschten der Staub sowie kleinere Steine, die zertreten wurden.
»Nicht weiter!« raunte der Blutsauger. Seine Stimme klang wie das leise Fauchen eines durch den Dschungel streichenden Windstoßes.
Hakim stoppte.
Er war schrecklich nervös. Die nur von wenigen Geräuschen unterbrochene Stille zerrte an seinen Nerven. Er glaubte, die Angst wie einen Mantel zu spüren, der sich um ihn gelegt hatte.
Baron von Tirano huschte an ihm vorbei. Er ging nicht den direkten Weg, sondern schlug hier und da einen Bogen, als müßte er gewissen Hindernissen ausweichen.
Dabei
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