0307 - Die letzte Kugel für den Boß
spähte ich durch das Fenster, aber eine Gardine war vorgezogen, und ich konnte nichts sehen außer unbestimmten Umrissen.
Ich tastete mich an die Tür heran. Sie war nicht verschlossen, und ich öffnete sie. In der Diele brannte Licht. Sie war ohne jede Einrichtung, einen Garderobenhaken ausgenommen, an dem ein Mantel hing.
Den Finger am Abzug der Kanone, schlich ich weiter. Gleich rechts führte eine Öffnung, die nur von einem Vorhang verschlossen war, in den Raum, in den ich durch das Fenster zu spähen versucht hatte.
Ich fasste den Vorhang mit der linken Hand und zog ihn zollweise zur Seite.
Das Zimmer war spärlich mit wenigen Möbeln eingerichtet, und mehr als die Hälfte dieser Möbel standen nicht auf ihrem Platz. Der Tisch lag umgestürzt in einer Ecke, ein Sessel streckte seine Beine gegen die Decke, vor einer Vitrine lagen die Scherben der herausgefallenen Glasscheibe, und ein Stuhl war in seine Bestandteile zerlegt worden.
Vor der Couch aber lag ein großer, schwarzhaariger Mann auf dem Gesicht, beide Arme nach den Seiten ausgebreitet und die Hände zusammengekrampft, und unter dem Körper des Mannes breitete sich eine Blutlache aus.
Ich ging tiefer in den Raum hinein auf den Reglosen zu. Ich blickte nach links und rechts, aber niemand sonst war in dem Zimmer, und es besaß keinen zweiten Eingang.
Ich kniete neben dem Mann. Vorsichtig fasste ich in sein Haar und hob seinen Kopf an.
Ich brauchte nicht nach den Papieren des Toten zu suchen. Vor mir lag jener chinesische Mischling, der mit Sarowsky nach New York gekommen war und dessen Name wir als Pa Tai festgestellt hatten.
***
»Wenn du schießt, Slade, killst du ein Mädchen«, sagte eine Stimme hinter mir. »Die Süße steht genau vor mir und deckt mich ziemlich perfekt.«
Ich fuhr herum. Ich hielt die 42er in der Hand und den Finger am Drücker, aber ich sah von meinem Gegner nicht mehr als den Lauf seiner Waffe, die dürch den Spalt des Vorhanges auf mich gerichtet war. Die Stimme war auf eine merkwürdige Weise sanft und melodisch, aber sie schwankte ein wenig.
»Du bluffst, Canogan«, sagte ich ruhig.
Die Stimme befahl: »Zieh den Vorhang zur Seite Nancy!«
Ich erblickte die Hand des Mädchens, die sich in den Stoff des Vorhanges klammerte und ihn zur Seite zerrte. Es gelang ihr nur unvollkommen. Nur ein Spalt, der nicht einmal mannsbreit war, klaffte auf, aber er genügte, um mir zu zeigen, dass Canogan die Wahrheit gesagt hatte. Nancy Kelly stand vor dem Gangster. Er hielt seine Kanone, einen sechsschüssigen Trommelrevolver, in der linken Hand und hatte seinen Arm unter der Achsel des Mädchens durchgeschoben, sodass sie ihn in seiner ganzen Körperbreite deckte. Nur sein Kopf und ein Teil seiner Schultern waren zu sehen.
Canogans Gesicht war glatt und ausdruckslos wie immer, aber es zeigte eine fast geisterhafte Blässe, und die Augen brannten in ihren Höhlen. Sein schwarzes Haar hing ihm in die Stirn, und aus dem Mundwinkel zog sich ein schmaler Blutfaden über sein Kinn. Sein Oberkörper war nackt. Das Hemd hing in Fetzen von seinem Gürtel. Auch die Haut seiner Brust war blütverschmiert, und um seine rechte Schulter war ein doppelter, offenbar nicht zu Ende geführter Verband gewickelt, dessen Gaze sich ebenfalls rot zu färben begann.
Was Nancy Kelly anging, so glaubte ich, dass sie kaum begriff, was sich abspielte. Sie sah aus wie betäubt, nicht etwa, weil sie unter dem Einfluss von Opium gestanden hätte, sondern einfach, weil ihre Nerven versagten. Sie war willenlos wie eine Puppe.
»Wenn du schießt, triffst du sie«, sagte Canogan. »Aber ich treffe dich. Also lass deine Kanone fallen!«
»Bevor ich mich von dir abknallen lasse, versuche ich es lieber«, antwortete ich grimmig.
»Wenn du vernünftig bist, knalle ich dich nicht ab«, antwortete er. »Ich kann Hilfe gebrauchen. Der Hund hat mich schwer angekratzt.«
»Zum Teufel, du hast zu oft versucht, mich umzulegen, als dass ich mich auf dein Wort verlassen könnte.«
»Wie du willst«, sagte er mit seiner farblosen und leise schwankenden Stimme. »Ich nehme gern jemanden auf die Reise mit.«
Hundert zu eins, dass ich das Girl treffen würde, wenn ich versuchte, dem Mörder mit dem Babygesicht eine Kugel zu verpassen. Noch wusste Canogan nicht, das ich FBI-Beamter war.
Ich wagte es. Allerdings ließ ich die Pistole nicht fallen, sondern schob sie mit einer lässigen Bewegung in das Halfter zurück.
»Okay, einigen wir uns. Ich brauche Rowfield, denn ich
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