0309 - Die Eismeer-Hexe
Ladenstraße und gelangten ins Foyer, wo der Direktor bereits auf uns wartete.
Er zog mich zur Seite und entschuldigte sich ein paarmal wegen der Störung. »Aber es ist wirklich dringend.«
»Gut, Mr. Kinsey, kommen Sie zur Sache.«
Er hatte ein blasses Gesicht, und noch mehr Farbe wich daraus, als er mir den Grund erklärte. Mit leisen Worten sagte er den nächsten, entscheidenden Satz.
»Der Tote, Sir, den Sie gebracht haben…«
Ich verdrehte die Augen. »Was ist denn mit ihm?«
»Er ist verschwunden!«
***
Das war tatsächlich ein Schlag ins Kontor. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich schaute den Mann an. Sein schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt.
Passend trug er den dunklen Anzug mit einem weißen Reverstuch. Die etwas dicken, vorstehenden Lippen zitterten, und er bewegte bestätigend den Kopf.
»Verschwunden, Sir, verschwunden.«
»Einfach so?«
»Ja. Wir haben keine Erklärung.«
Ich holte tief Luft. Das sah natürlich schlecht aus. Eigentlich hätten wir damit rechnen müssen, nach dem, was wir mit Simon Garfield erlebten. Morg Behan war durch die Diener der Eismeer-Hexe getötet worden. Daran gab es nichts zu rütteln. Dennoch war seine Leiche verschwunden. Da gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hatte man sie gestohlen, oder sie war zu einem Zombie geworden und von selbst gegangen.
Ich tippte eher auf letzteres.
»Wo war der Tote denn untergebracht?« fragte ich den Hotelchef.
»Wir haben hier verschiedene Kellerräume. Dort sind auch die Versorgungsanlagen…«
Ich ließ ihn nicht ausreden. Möglicherweise zählte jede Sekunde.
»Bitte, zeigen Sie mir die Räume.«
»Natürlich, kommen Sie mit.«
Quer durch das jetzt ruhige Foyer mußten wir. Vor einer Lifttür blieben wir stehen. Sie war breiter als die der normalen Fahrstühle.
Der dahinterliegende Aufzug diente zum Transport von Gütern.
Die Kabine war kahl. Man hatte die Wände mit Blech verkleidet.
»Der Keller liegt noch unter dem Pool«, erklärte mir Mr. Kinsey.
»Sind die Räume betoniert worden, oder bestehen sie noch aus dem nackten Fels?«
»Nein, nein. Man hat sie schon betoniert.« Der Mann war nervös.
Häufig zuckte er mit den Augenwimpern. Der Aufzug ruckte ein wenig nach, bevor er stoppte.
Mr. Kinsey drückte die Tür auf und ließ mich vorgehen. Kühle umfing mich. Sie wehte durch einen Gang, der links des Aufzugs in den Keller stieß.
Ich wunderte mich über die Leitungen dicht unter der Decke. Es waren dicke Rohre, die meisten davon beschlagen. Ein leises Summen drang an meine Ohren und auf den meisten Türen, die wir passierten, standen Warnungen.
Der Eintritt war überall verboten.
Den Gang ließen wir hinter uns und gelangten in einen Bereich, wo eine Treppe nach oben führte.
»Dort kann man auch den Pool erreichen«, erklärte mir der Hotel-Direktor.
»Aha.«
Mr. Kinsey war schon zur Seite gegangen und öffnete eine schmale Tür. Mit Eisenblech war sie verkleidet worden.
Wir betraten einen Lagerraum. Jedenfalls machte er auf mich den Eindruck, denn ich sah zahlreiche Kisten und große Pakete. Sie standen in Metallregalen. Der kleine Gabelstapler in der Ecke wirkte wie verloren.
Im Hintergrund des schmalen Raums stand eine alte Liege. Davor blieben wir stehen. »Hier hat er gelegen«, erklärte Kinsey und schüttelte sich. »Jetzt ist er verschwunden.«
Ich runzelte die Stirn. »Haben Sie bei Ihren Mitarbeitern mal nachgefragt, ob einer von ihnen…?«
Kinsey rang beide Hände. »Um Himmels willen, Mr. Sinclair. Das kann ich mir nicht erlauben. Nein, davon wissen nur Sie und ich etwas. Ich habe dieses Phänomen ja entdeckt.« Trotz der Kühle schwitzte er.
Mit einem Tuch tupfte er die Tropfen von seiner Stirn.
Ich suchte nach Spuren. Die Leiche war naß gewesen. Wenn sie von allein den Raum verlassen hatte, mußte es irgendwelche Abdrücke auf dem Boden geben.
Danach forschte ich.
Ich hatte Glück. Zwar waren sie schon fast eingetrocknet, bei genauerem Hinsehen jedoch konnte man sie erkennen. Unsere Spuren waren es nicht, es gab also nur eine Möglichkeit, wenn man irgendeinen dummen Zufall mal ausschloß.
»Was suchen Sie denn?« fragte mich der Direktor, als er mich in der gebückten Haltung sah.
»Ich habe Abdrücke gefunden.«
»Von dem Toten?« Erschreckt klang die Stimme.
»Ja.«
»Meine Güte, das kann doch nicht wahr sein. So etwas gibt es nur im Roman oder im Film.«
»Da auch«, erwiderte ich trocken und verfolgte die hinterlassenen Spuren weiter.
Sie führten auf
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