031 - Der Puppenmacher
hoch, als ihn etwas aus der Schachtel ansprang. Das Ding prallte gegen seinen Unterarm und verbiß sich im Stoff seines Morgenmantels. Jetzt erst erkannte Dorian, daß es sich um eine menschenähnliche Puppe handelte; eine Puppe in einem Flitterkleid. Sie lebte. Sie blitzte ihn aus funkelnden Augen an, fletschte ihr schwarzes Gebiß und wollte noch einmal zubeißen.
Dorian schleuderte die Puppe von sich. Sie flog quer durch den Raum, prallte gegen die Wand und fiel zu Boden.
Ohne sich der Geschehnisse recht bewußt zu werden, ging er zu der Stelle, wo die fußgroße Puppe reglos und mit verrenkten Gliedern lag. Er stieß sie vorsichtig mit dem Zeigefinger an und drehte sie auf den Rücken.
»Coco!« entfuhr es ihm entsetzt.
»Coco als Puppe in einer Schachtel verpackt. Kommen Sie schnell, Don! Ich habe Coco getötet!«
Diese Worte begleiteten ihn während der ganzen Fahrt in die Wellington Road. Auch jetzt, während er an Dorians Haustür klingelte, hallten sie in seinem Geist nach.
Dorian öffnete mit einem undeutbaren Grinsen.
»Ich bin sofort nach Ihrem Anruf in den Wagen gesprungen, Dorian«, sagte Chapman, als er in den Flur trat.
Er verschwieg, daß er seiner Gefährtin für diese Nacht noch einen Klaps aufs nackte Hinterteil gegeben und sich einen doppelten Whisky genehmigt hatte – sozusagen als Heilmittel gegen den Schock, den ihm Dorians Anruf verursacht hatte.
»Was ist denn nun eigentlich passiert?« erkundigte sich Chapman, während er zielstrebig auf die Bibliothek zusteuerte.
»Tut mir leid, Don«, sagte Dorian bedauernd, »aber es war Fehlalarm.«
»Was?« Chapman wirbelte herum. »Da scheuchen Sie mich aus dem Bett, um mir dann zu gestehen, daß Sie alles nur geträumt haben?«
»Ganz so ist es nicht«, beschwichtigte ihn Dorian. »Es war schon alles so. wie ich es Ihnen geschildert habe. Nur irrte ich mich, als ich meinte, bei der Puppe handle es sich um Coco.«
Chapman blickte ihn streng an.
»Hauchen Sie mich an, Dorian!«
Dorian winkte ab. »Ich habe nichts getrunken. Aber jetzt könnte ich einen Schluck brauchen. Legen Sie ab, dann werde ich Ihnen alles der Reihe nach erzählen.«
Während Dorian zur Bar ging und zwei Drinks mixte, schilderte er, was passiert war.
Er endete: »Die Puppe sah Coco tatsächlich sehr ähnlich. Als ich merkte, daß ich sie getötet hatte, rief ich Sie in meiner ersten Panik an. Dann erst untersuchte ich die Puppe genauer und stellte an verschiedenen Kleinigkeiten fest, daß es sich nicht um Coco handeln konnte. Die Ähnlichkeit war verblüffend, aber nicht vollkommen. Es muß ein anderes Mädchen gewesen sein, das der Puppenmacher absichtlich so formte, daß ich es für Coco hielt. Das bedeutet, daß er unser Versteckspiel durchschaut hat. Es muß zwischen Phillip Hayward und den Puppen ein Zusammenhang bestehen.«
»Bremsen Sie sich, Dorian!« fiel ihm Chapman ins Wort. »Sie machen mir zu große Gedankensprünge. Mich interessiert vorerst nur eines: Bleiben Sie bei Ihrer Version, daß ein Bote Ihnen einen Karton gebracht hat in dem sich eine fußgroße Puppe aus Fleisch und Blut befunden hat?«
Dorian deutete lächelnd auf den Karton auf dem Tisch.
»Diesmal kommen Sie mir nicht aus, Don! Öffnen Sie den Karton! Dort werden Sie den Beweis finden.«
Chapman blieb skeptisch, aber er kam Dorians Aufforderung nach. Er nahm den Deckel ab und starrte in die Schachtel.
»Hm«, machte er und griff mit spitzen Fingern hinein.
Er beförderte ein Puppenkleid zutage.
Dorian sprang von seinem Sitz hoch, packte die Schachtel und kippte sie um. Nichts als eine Handvoll Staub rieselte auf die Tischplatte.
»Ich hätte es mir denken können«, sagte Dorian dumpf. »Die Opfer und Sklaven der Dämonen zerfallen nach ihrem Tod zu Staub. Das ist bei den Vampiren so, warum soll es bei den Puppen anders sein.«
»Ich habe mir gleich gedacht, daß Sie mir nur eine taube Nuß anzubieten haben«, meinte Chapman ärgerlich. »Ich befürchte, daß man Sie das nächste Mal dortbehalten wird, wenn Sie wieder in die O’Hara-Stiftung kommen, Dorian.«
»Sie sind ein Ignorant, Don!« rief Dorian heftig. »Was muß denn noch alles passieren, damit Sie merken, was um Sie vorgeht! Sind Sie denn blind?«
»Keineswegs«, antwortete Chapman kühl. »Ich habe sogar ein sehr scharfes Auge für die realen Dinge.« Er nahm wieder das Puppenkleid zwischen zwei Finger und hob es hoch. »Zum Beispiel das hier. Erinnern Sie sich noch, daß Lady Hurst ein ganz ähnliches
Weitere Kostenlose Bücher