031 - Die blaue Hand
hinabzueilen, da hörte er einen lauten Hilferuf aus der Wohnung. Ohne zu zögern stieß er die Tür auf. Nur die letzte Tür auf der rechten Seite des Ganges stand offen, und aus diesem Zimmer zogen dünne Rauchschwaden auf den Gang. Jim eilte hinein; die Frau, die im Bett lag, stützte sich eben auf die Ellenbogen, als ob sie aufstehen wollte. Er sah, daß die Gardinen brannten, riß sie schnell herunter und trat die Flammen aus. Nach einigen Sekunden war die Gefahr gebannt.
Als er den letzten Funken gelöscht hatte, sah er zu der Frau hin. Sie mochte zwischen vierzig und fünfundvierzig sein. Ihr schönes, sanftes Gesicht machte einen großen Eindruck auf ihn. Die großen, leuchtenden Augen, das dunkelbraune, ein wenig angegraute Haar, die schönen Hände auf der Bettdecke - er nahm alles mit einem Blick auf und hatte das Gefühl, die Frau schon einmal gesehen zu haben. Er wußte, daß es ein Irrtum sein mußte.
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Mr. Steele«, sagte die Dame leise. »Es ist schon das zweite Mal, daß so etwas passiert. Ein Funke von einer vorbeifahrenden Lokomotive muß ins Fenster gewirbelt sein.«
»Entschuldigen Sie bitte«, erwiderte er liebenswürdig, »ich wäre natürlich nicht hier eingedrungen, aber ich hörte Sie rufen. Sicher sind Sie Mrs. Fane?«
Er hörte die Krankenschwester zurückkommen. Sie wußte nichts von dem Vorfall und erschrak sehr, als ihr Brandgeruch entgegenschlug. Rasch ging er ihr entgegen und erklärte kurz, warum er in die Wohnung gekommen sei. Madge Benson verabschiedete ihn in merkwürdiger Eile, fast unhöflich.
»Mrs. Fane darf keine Besuche empfangen - sie regt sich zu sehr darüber auf.«
Verblüfft über den Hinauswurf fragte Jim:
»Was fehlt ihr denn?«
»Sie hat Paralyse in beiden Beinen. Denken Sie nicht, daß ich unliebenswürdig sein will, Mr. Steele ...«
Da sie sich doch offensichtlich nicht länger mit ihm unterhalten wollte, zog er sich zurück.
Das also war Mrs. Fane! Eine außerordentlich schöne Frau -schade, daß dieses schreckliche Leiden sie um die besten Jahre betrogen hatte.
Auf dem Weg zum Büro kam Jim in den Sinn, daß Mrs. Fane ihn sofort erkannt und seinen Namen genannt hatte. Wie konnte sie wissen, wer er war, wenn sie ihr Krankenzimmer nie verließ?
12
»Mr. Groat kommt heute nicht zum Frühstück herunter, er hat lange gearbeitet.«
Eunice nickte stumm. Im Grunde unterhielt sie sich immer noch lieber mit Digby Groat als mit seinem unsympathischen Diener, dessen Selbstbewußtsein und anmaßende Haltung sie nervös machten.
»Sie sind heute morgen früh weggegangen, Miss«, bemerkte Jackson mit schlauem Lächeln, als er einen frischen Teller vor sie hinstellte.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich vor dem Frühstück ausgehe?« fragte sie ärgerlich.
»Durchaus nicht, Miss«, erwiderte er höflich. »Ich hoffe, daß ich Sie mit meiner Frage nicht gekränkt habe. Ich sah Sie nur zurückkommen."
Sie hatte das Paket für Jim zur nächsten Post gebracht. Beinah hätte sie Jackson ihren Gang irgendwie zu erklären versucht, aber es lag ja kein Grund vor, sich vor ihm zu rechtfertigen. Jackson gab sich indessen noch nicht geschlagen, außerdem hatte er noch eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen.
»Sind Sie gestern abend nicht gestört worden, Miss?«
»Warum? Was meinen Sie?« Eunice schaute auf. Sie begegnete seinem durchdringenden Blick und fühlte sich sehr unbehaglich.
»Gestern abend hat sich jemand einen Scherz erlaubt - Mr. Groat war sehr böse.«
Sie legte Messer und Gabel hin, lehnte sich zurück und sagte kühl:
»Ich verstehe Sie nicht, Jackson - was für ein Scherz war es?«
»Es war jemand im Hause. Es ist merkwürdig, daß Mr. Groat nichts gehört hat. Wahrscheinlich war er gerade sehr vertieft, er arbeitete nämlich im Laboratorium. Ich dachte, Sie hätten gehört, wie er nachher das ganze Haus durchsuchte?«
»Nein. Woher weiß man denn, daß ein Fremder im Hause war?«
»Weil er ein Zeichen zurückgelassen hat. Sie kennen doch die weiße Tür, die zum Laboratorium führt? Nun, als Mr. Groat um halb drei Uhr morgens herauskam, drehte er im Gang das Licht an und sah einen Farbfleck an der Tür. Als er näher ging, erkannte er den Abdruck einer blauen Hand. Ich habe schon den ganzen Morgen daran gerieben, um die Farbe wegzubekommen, aber sie ist schon eingetrocknet und hat sich in die Ritzen und Sprünge festgefressen.« »Der Abdruck einer blauen Hand?« wiederholte Eunice und fühlte, daß sie
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