031 - Die blaue Hand
der Wand hing. »Dann muß sie ungefähr um zwölf Uhr am Leuchtturm von North Foreland vorbeigekommen sein. Und wann ereignete sich der Unglücksfall?«
»Um Mittag!«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß etwas Besonderes von der Fahrt berichtet wurde.«
»Kann man nicht irgendwie herausfinden, was auf dieser Reise passierte?«
»Da müßten wir das Logbuch des Schiffs einsehen. Hoffentlich sind wir dazu in der Lage. Die Battledore wurde während des Krieges torpediert, aber Captain Pinnings, der Kommandant des Schiffes, lebt noch.«
»Aber sein Logbuch?« fragte Jim.
»Darüber müssen wir Nachforschungen anstellen. Alle Logbücher werden in unserem Büro in Liverpool aufbewahrt. Ich schreibe heute noch an den Geschäftsführer dort und bitte ihn, das Buch herzuschicken, sofern es noch in unserem Besitz ist.«
»Es ist äußerst dringend«, erwiderte Jim. »Sie waren so liebenswürdig zu mir, daß ich Sie nicht drängen würde, wenn es nicht so ungeheuer wichtig wäre. Könnte ich nicht selbst nach Liverpool fahren und das Logbuch einsehen?«
»Die Mühe kann ich Ihnen ersparen. Unser Liverpooler Geschäftsführer kommt morgen nach London. Er kann das Buch mitbringen, wenn es noch existiert. Ich telefoniere gleich mit ihm.«
Damit mußte sich Jim zufriedengeben, obgleich es einen Verlust von weiteren vierundzwanzig Stunden bedeutete.
Er berichtete Mr. Salter, was er erreicht hatte, und entschloß sich zu einer kühnen Tat. Jede nur mögliche Gefahr mußte von Eunice abgewandt werden. Wenn doch nur Lady Mary in London gewesen wäre!
Er fuhr zum Haus am Grosvenor Square und wurde sofort in Digbys Arbeitszimmer geführt.
»Wie geht es Ihnen, Mr. Steele? Nehmen Sie bitte Platz. Hier sitzt man viel bequemer als unter dem Tisch! Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Miss Weldon sehen.«
»Ich glaube, sie ist ausgegangen, aber ich will einmal nachsehen lassen.«
Er klingelte. Das Mädchen, das erschien, versicherte, Eunice sei nicht zu Hause.
»Nun gut«, sagte Jim, nahm seinen Hut und verabschiedete sich. »Ich werde draußen warten, bis sie zurückkommt.«
»Sie besitzen eine bewundernswürdige Dickköpfigkeit«, murmelte Digby. »Warten Sie, vielleicht kann ich sie doch finden!«
Nach einigen Minuten kam er mit Eunice zurück.
»Das Mädchen wußte nicht richtig Bescheid - Miss Weldon ist nicht ausgegangen.« Er machte eine kurze, höfliche Verbeugung und verließ den Raum.
Eunice legte die Hände auf den Rücken.
»Sie wollten mich sprechen, Mr. Steele?«
Ihre abweisende Haltung brachte ihn aus dem Konzept. Die zurechtgelegten Argumente, die sie überzeugen sollten, schwammen ihm weg.
»Bitte, verlassen Sie dieses Haus, Eunice!«
»Haben Sie wieder einen neuen Grund gefunden?« fragte sie ironisch.
»Ich habe den besten Grund - ich weiß jetzt, daß Sie die Tochter Lady Mary Dantons sind ...«
»Das haben Sie mir früher auch schon erzählt.«
»Bitte, hören Sie auf mich!« bat er. »Ich kann Ihnen den Beweis bringen, daß Sie es sind. Die Narbe am Handgelenk hat Ihnen Digby Groat beigebracht, als Sie noch ein kleines Kind waren. Es gibt keine Eunice Weldon - das Mädchen, das diesen Namen trug, ist im Alter von einem Jahr in Kapstadt gestorben!«
Sie sah ihn an, ziemlich kühl, und sein Mut sank.
»Das ist ja eine äußerst romantische Geschichte! Haben Sie mir vielleicht sonst noch etwas zu sagen?«
»Nur noch, daß die Dame, die Sie in meiner Wohnung gesehen haben, Ihre Mutter ist.«
Ihre Augen wurden groß, einen Moment lang lächelte sie.
»Wirklich, Jim, Sie sollten Geschichten schreiben! Und wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen ja sagen, daß ich dieses Haus in ein paar Tagen verlasse, um meine alte Stelle wieder anzunehmen. Sie brauchen mir gar nicht zu erklären, wer die Dame ist, die kein Telefon, aber den Schlüssel zu Ihrer Wohnung besitzt. Ich will Ihnen nur sagen, daß Sie meinen Glauben an die Männer mehr erschüttert haben, als Digby Groat oder irgendein anderer es je fertiggebracht hätte!« Ihr Ärger betäubte alle Sympathie, die sie trotz allem für Jim empfand. »Leben Sie wohl!« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
Er stand verwirrt und betäubt da, sprachlos über ihre Ungerechtigkeit. Er spürte Ärger und Zorn in sich aufsteigen, aber er überwand sich. Jetzt konnte er gehen.
25
Eine Entscheidung lag in der Luft. Digby Groat war viel zu vorsichtig, um die Anzeichen nicht zu verstehen. Seit zwei Jahren stand er in Verhandlungen mit einem
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