0316 - Das Todeslied der Unterwelt
zwischen ihnen hindurch. Es ging eine steile Stiege hinab. Ich zählte 34 Stufen. Unten öffnete sich ein langer Gang, der gerade breit und hoch genug war, um einem ausgewachsenen Mann Platz zu bieten. Nach vierzig Schritten weitete sich der Gang zu einem Raum von ungefähr vier mal vier Yard Grundfläche. Die dem Flur gegenüberliegende Wand beherbergte einen Fahrstuhl.
Phil schob anerkennend die Unterlippe vor.
»Organisation ist alles«, murmelte er und bestieg den Fahrstuhl. »Hast du eine Ahnung, wie wir das Ding in Bewegung setzen können?«
Ich sah mich um. Rechts von der Tür gab es einen einzigen Knopf. Ich zuckte die Achseln.
»Versuchen wir es damit.«
Ich drückte den Knopf. Die beiden Türen schoben sich zusammen, und aus der Wand rollte noch lautlos ein Scherengitter hervor. Erst als sich auch das Gitter geschlossen hatte, setzte sich der Fahrstuhl aufwärts in Bewegung. Als er anhielt, gingen die Türen automatisch useinander.
Vor uns lag ein Raum, der ganz mit rotem Samt ausgeschlagen und auf dem Fußboden mit einem roten Teppich ausgelegt war. Die Beleuchtung war indirekt und stilecht, ebenfalls rot. Wer so etwas besonders schön fand, wußte ich nicht.
Wir sahen uns um. Es war weder eine Tür, noch ein Fenster zu sehen. Dafür hörten wir leise Musik, die irgendwo hinter dem roten Samt hervorkam. Noch bevor wir uns zu etwas entschließen konnten, teilte sich der rote Samt, und ein Mädchen erschien. Es war eine junge Chinesin.
Aufs Geratewohl tippte ich darauf, daß es sich um ein Mädchen handeln könnte, das für Garderobe zuständig war. Also drückte ich ihr meinen Hut in die Hand. Sie lächelte und sah Phil an. Als auch er ihr den Hut gegeben hatte, verschwand sie wieder.
»Die Bedienung ist gut«, sagte Phil sarkastisch. »Aber sollen wir hier, in dieser roten Hölle Däumchen drehen?«
Ich zog den Vorhang dort auseinander, wo die kleine Chinesin verschwunden war. Das Glück hielt zu uns. Nach rechts ging ein schmaler Durchgang in die Garderobe, wo Hüte und Mäntel hingen. Geradeaus kam man direkt in eine kleine Bar. Ihre Einrichtung mußte ein kleines Vermögen verschlungen haben. Wenn mich nicht alles täuschte, waren die beiden runden Pfeiler aus schwarzem Marmor. Die Barhocker hatten Bezüge aus echtem Leder. Der Teppich war ein feudaler Morast, in dem man bis knapp zu den Knöcheln einsinken konnte, ohne eine Spur auf ihm zu hinterlassen.
Hinter der Bar hockten drei Damen, die zwar hervorragend geschminkt waren, die aber ein kundiges Auge dennoch nicht darüber hinwegtäuschen konnten, daß sie den Schmelz der ersten Jugend längst verloren hatten.
Ich dachte einen Augenblick daran, wie viele Tage noch vergehen mußten, bis unser nächstes Gehalt zu erwarten war. Aber das hätten wir uns früher überlegen sollen. Jetzt war es zu spät. Wir setzten uns an die Bar und bestellten. Scotch. Er wurde uns auf eine angenehm unaufdringliche Art serviert. Wir steckten uns Zigaretten an, nippten an unserem Whisky und sahen uns ein bißchen um, gerade so lässig, daß es nicht auffallen konnte. Klopfzeichen, Kennwort, unterirdischer Gang, Fahrstuhl und sündhaft teure Einrichtung nur für eine kleine Bar? In Gordons Akten hatte es anders gestanden.
Aber auch hier gab es keine Tür. Ich hatte meinen Whisky schon beinahe ausgetrunken, als uns einer der »Kunden« auf die Sprünge half. Er kam nämlich plötzlich durch eine Tapetentür, die ich in diesem Augenblick überhaupt erst bemerkte.
Der Mann war an die sechzig Jahre und gehörte zu denen, die ihre Einkommensteuererklärung von drei oder noch mehr Fachleuten ausarbeiten lassen. Er nickte uns flüchtig zu und ließ sich irgendwas einschenken, was französisch klang. Mit dem Gläschen trat er einen Schritt zurück, kippte es hinunter und stellte es auf die Bar zurück. Danach marschierte er wieder zu der Tapetentür. Ich nahm mein Whiskyglas in die Hand und trank. Dabei schielte ich genau auf das, was er tat, um die Tapetentür, die keine Klinke hatte, zu öffnen.
Wenn ich mich nicht getäuscht hatte, drückte er mit dem Daumen der linken Hand auf eine bestimmte Stelle in dem abstrakten Muster der Tapete. Ich ließ noch ein paar Minuten vergehen und rutschte von meinem Hocker.
Phil ging mir nach. Da der Mann vorhin sein Getränk nicht auf der Stelle bezahlt hatte, nahm ich an, daß es hier nicht üblich sei und unterließ es deshalb auch. Es schien tatsächlich in Ordnung zu sein.
Mein Daumen glitt über die Stelle, die ich mir
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