032 - Töchter der Nacht
erwiderte der Kriminalbeamte. »Er hat heute die telegrafische Bestätigung erhalten, daß er seiner Verbrechen wegen nicht verfolgt und sein Zeugnis vom Staat angenommen wird.«
Langsam ging er auf Mr. Price zu und legte die Hand auf seine Schulter.
»Mr. Price, an Ihrer Stelle würde ich jetzt zu Bett gehen.«
Der Pfarrer antwortete nicht.
Der Kriminalbeamte neigte sich vor und sah ihn genauer an. Dann drehte er sich um und kam mit den Händen in den Taschen zurück.
»Miss Cameron, es wäre wohl am besten, wenn Sie sich zur Ruhe legten.«
Jim sah ihn an, sekundenlang, und Margot wechselte einen Blick mit Jim.
»Ist er - verletzt?« fragte sie besorgt.
»Das nicht, aber manchmal hat er solche Anfälle und wird ohnmächtig«, erklärte der Kriminalbeamte, »und dann ist es besser, wenn ihn die Leute in diesem Zustand nicht sehen.«
Sie glaubte, was er ihr sagte, lächelte Jim noch einmal zu, verabschiedete sich und ging nach unten.
Jim und der Kriminalbeamte aber legten den Toten auf das Deck, und der Beamte zog das Dolchmesser aus seiner Seite.
28
Nirgends wird ein Geheimnis besser bewahrt als an Bord eines Schiffes. Alle, die zur Besatzung gehören, vom Kapitän bis zum letzten Pagen, sind geborene Verschwörer, wenn es sich darum handelt, daß die Passagiere gewisse Dinge nicht erfahren sollen.
Niemand, mit Ausnahme der wenigen, die es direkt anging, wußte beim Frühstück am nächsten Morgen, welche Tragödie sich in der Nacht abgespielt hatte.
Der Platz von Price war gedeckt - seine Serviette lag zusammengefaltet links neben dem Teller, und die frisch gebackenen Brötchen, die heißen Toastschnitten und der Kaffee waren pünktlich um halb neun zur Stelle. Um diese Zeit pflegte er zu frühstücken.
Der Decksteward rückte den Sessel zurecht, ordnete die Kissen und legte das Buch, in dem der Pfarrer gelesen hatte, bequem zur Hand, obwohl er wußte, daß Mr. Price unten in einem abgeschlossenen Raum als Toter aufgebahrt lag.
Margot ahnte so wenig wie alle anderen, was passiert war. Sie bat den Steward, in Mr. Prices Kabine zu gehen und sich nach dessen Befinden zu erkundigen. Er kam mit der Nachricht zurück, daß Mr. Price sich nicht wohl fühle und wahrscheinlich heute kaum zu Tisch erscheinen könne.
Auch Mr. Winter erkundigte sich nach dem Pfarrer, und zwar beim Steward im Rauchsalon. Auch dieser wußte sehr genau, daß Mr. Price tot war, denn er hatte selbst geholfen, die Leiche wegzuschaffen. Er erwiderte, daß Mr. Price vor ein paar Minuten noch im Rauchsalon gewesen sei und wohl eben erst nach unten gegangen sein müsse.
Der Morgen war sonnig und klar, aber gegen Mttag kam das Schiff in eine dichte, weiße Nebelbank, und für den Rest des Tages konnte die ›Ceramia‹ nur mit der geringen Geschwindigkeit von zehn Knoten in der Stunde fahren. In kurzen Intervallen schrillten die Dampfpfeifen.
Auf dem Promenadendeck war es feucht und kalt. Die Deckplanken waren naß und glatt, so daß selbst das Spazierengehen nicht anzuraten war.
Margot ließ sich von alldem nicht beeindrucken. Sie saß in ihrem Deckstuhl, in Decken eingewickelt, und genoß selbst unter diesen Umständen den Aufenthalt im Freien.
Den größten Teil des Vormittags hatte sie mit ihrer Schwägerin verbracht. Cecile war fest entschlossen, sich bis zum Ende der Reise nicht zu zeigen. Aber sie gab schließlich Margots Drängen nach und zog in die größere und bequemere Kabine, die Frank von Anfang an für sie belegt hatte.
»Auf jeden Fall bist du dann in meiner Nähe«, argumentierte Margot. »Die Zimmer haben eigene Ausgänge nach dem Korridor, so daß du ungehindert aus und ein gehen kannst. Nur auf einer Forderung muß ich bestehen: Wenn du mit Jim sprechen willst, möchte ich dazu eingeladen werden!«
Cecile lächelte.
»Hast du mir noch nicht verziehen, Margot?«
»Wenn ich kein so versöhnlicher Mensch wäre, müßte ich dir zweifellos noch böse sein. Aber da ich nicht glaube, daß das zu einer Gewohnheit zwischen euch wird ... Wenn du durchaus weinen mußt, dann komm bitte zu mir und vertrau dich mir an!«
Der Nebel hielt den ganzen Nachmittag an, erst gegen Abend lichtete er sich ein wenig. Nach dem Essen wurde er jedoch wieder dichter.
Margot kannte genau die Zeiten, wann Jim unten im Heizraum Dienst hatte. Heute war er in einer früheren Schicht, und es bestand daher Aussicht, daß er zeitiger aufs Bootsdeck hinaufkommen konnte. Sie saß da und las krampfhaft in ihrem Buch, um die Zeit totzuschlagen. Mrs.
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