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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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drehte sich um. Da sie bemerkte, dass sowohl Deri als auch das Seil vom Hof verschwunden waren, stieg sie die Leiter zum Dachboden hoch. Deri war damit beschäftigt, den für den Haken gemachten Knoten zu lösen. Der andere Knoten war bereits aufgemacht worden. Als Deri aufschaute, drückte seine Miene jedoch Besorgnis und eine Art gequälten Erstaunens aus.
    „Oh, Deri!" sagte Carys seufzend. „Ich war nicht in Gefahr. Ich schwöre, dass ich nicht gefährdet war. Traust du mir nicht zu, dass ich meine Arbeit beherrsche?"
    Sein Blick traf den ihren, und ihr Herz machte einen Sprung. Besorgnis, Schmerz, sogar eine Art von Entsetzen wurden ihr bekundet, aber nicht die dumpfe Abgestumpftheit, die sie seelisch so erschüttert und glauben gemacht hatte, Deri sei restlos verloren.
    „Sie ... sie . . . das Mädchen . . . Ann", stammelte er, machte dann den Mund zu und schaute verzweifelt auf den Knoten.
    „Magst du sie nicht, Deri?" fragte Carys wehmütig. „Ich glaube, sie hat nie ihresgleichen getroffen. Sie war eifrig darauf bedacht, mit dir zu reden. Ich finde, sie ist ein hübsches Mädchen."
    „Mit mir zu reden?" platzte er heraus. „Einen Augenblick lang habe ich befürchtet, sie würde mich auffressen."
    Carys schluckte. „Sie ist nicht groß genug, um dich auffressen zu können. Ich glaube, das hast du nicht zu befürchten."
    „Sehr komisch", erwiderte Deri gereizt.
    „Ich wollte nicht komisch sein", sagte Carys kleinlaut.
    Missgelaunt zuckte er mit den Schultern. Wahrscheinlich stimmte das sogar, was Carys gesagt hatte. Sie war ungeheuer sachlich und schien nicht sehr viel Sinn für Humor zu haben. Über einen Scherz konnte sie lachen, machte jedoch nie selbst einen und schien oft nicht zu merken, wenn sie geneckt wurde. Gleichviel, Deri wusste, dass er das, was er geäußert hatte, nicht hätte sagen dürfen. Er hatte nicht das Recht, Anns Gefühle jemandem zu verraten, ganz gleich, wie sehr sie ihn schockiert hatten.
    „Wo ist Telor?" erkundigte er sich.
    Fügsam nahm Carys den Themenwechsel hin, wenngleich sie sicher war, dass Deri in Gedanken noch immer bei der Reaktion weilte, die Ann auf ihn gezeigt hatte. „Telor ist in Lord Williams Unterkunft und wird erst nach dem Abendessen wieder hier sein. Er hat mir gesagt, ich solle mir Kleidung kaufen, aber ich hatte Angst, allein loszugehen. Kommst du mit?"
    „Du hattest Angst, allein zu einem Geschäft zu gehen, aber keine Furcht davor, aus sieben Fuß Höhe auf den Kopf zu fallen?" fragte Deri aufgebracht.
    „Ich wäre nicht auf den Kopf gefallen", erwiderte Carys in dem bewusst geduldig klingenden Ton eines Menschen, der eine offenkundige Tatsache einem dummen Kind gegenüber oft genug wiederholt hatte. „Ich weiß, wie ich fallen muss, aber ich kenne den Wert von Kleidungsstücken oder Geld nicht und will nicht betrogen werden."
    Deri warf das Seil, dessen beide Enden jetzt glatt waren, hin und schaute Carys auf eine beunruhigte, verblüffte Art an. Dann richtete er den Blick auf seine leeren Hände. Vielleicht dachte er über ihren Sturz nach. Carys, die ein sehr vorsichtiger Mensch war, für den Geld eine beinahe mystische Bedeutung hatte, hätte jedoch keine Minute lang gezögert, darauf zu wetten, dass Deri sie kaum gehört hatte.
    „Ja, natürlich werde ich mit dir kommen", erwiderte er. „Aber ich ziehe mir besser meine anderen Sachen an. Ich nehme an, Telor hat keine andere Wahl gehabt, aber es kommt mir immer sehr befremdlich vor, wenn ich mich jedes Mal, wenn ich die Tunika wechsele, von einem Bettler in einen König verwandele."
    Beim Sprechen hatte er die fleckige und etwas zerknitterte Tunika, die er für den Besuch in Creklade angezogen hatte - das geeignete Gewand für seine Rolle als Zwerg in einer Schaustellertruppe - und das darunter getragene grobe Hemd ausgezogen. Carys konnte nicht widerstehen, beim Zusammenrollen des Seils einen Blick auf ihn zu werfen, um zu sehen, ob sein Oberkörper zu seinem gut aussehenden Gesicht passte. Deri war behaarter als Telor. Aber der starke Haarwuchs konnte nicht die kräftigen, ausgeprägten Muskeln auf seiner Brust und dem Rücken und den Oberarmen verbergen. Er zog das gute Hemd an, das er zu der bestickten braunen Tunika trug. Für die Brayette hatte er keinen Ersatz, denn diese Unterhosen mussten für ihn angefertigt werden. Seine Beine waren so kurz, dass von ihnen nur wenig zwischen den Schuhen und dem Saum der Tunika zu sehen war.
    Der flüchtige Blick hatte Carys mit Zufriedenheit

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