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Teil der Zuschauer in der Bierstube oder im Speisehaus Platz genommen, gab lauthals Bestellungen auf und beobachtete, während man mehr oder weniger geduldig auf den Beginn der Vorführung harrte, Carys' nackte Beine, die unter dem vielfarbigen Rock erschienen und verschwanden. Der Speisewirt und die Schankfrau waren nie im Leben so beschäftigt gewesen, allerdings nicht so beschäftigt, als dass sie sich nicht hätten beglückwünschen können, den einen dafür, dass er diesen Einfall gehabt hatte, die andere dafür, damit einverstanden gewesen zu sein.
Jetzt erschien Deri beinahe so auffallend gekleidet wie Carys, stolzierte auf die Straße, klopfte mit dem Kolben den
Leuten auf den Kopf und sagte ihnen rundweg, sie seien solche Narren, weil sie sich dazu hatten verleiten lassen, für ihr Essen und ihre Getränke zu zahlen, statt ihr Geld für die Akteure aufzuheben. Er schlug von einem Ende der Straße zum anderen Räder, sprang übermütig auf die Hauptstraße, um noch mehr Leute anzulocken, ehe er dann auf den Händen zu den wartenden Zuschauern zurücklief. Sie waren inzwischen animiert und riefen ihm wenig schmeichelhafte Bemerkungen zu, die er so verdrehte, dass die Leute, die ihn beleidigt hatten, wie Narren erschienen. Der Rest der Menschenmenge brüllte unweigerlich vor Lachen, und Deri ging darauf ein, indem er viel sagend an der Schlinge zerrte und kichernd äußerte, er sei dazu geboren worden, gehängt zu werden.
Die ganze Zeit hindurch hatte er regelmäßig zum Dach des Speisehauses geblickt, wo Carys das Seil ausprobierte, das schräg zur tiefer gelegenen Bierstube verlief. Er bemerkte, dass sie ihm das Zeichen gab, bereit zu sein, und brüllte um Ruhe. Danach verstummte er vollends und starrte offenen Mundes mit gut gespieltem Erstaunen in die Höhe. Und als alle anderen ebenfalls in die Höhe starrten, huschte er still zurück zum Speisehaus, wo er sich nach Atem ringend an die Wand lehnte.
Eine Hand ergriff fest die seine, und dann hörte er Ann bewegt und heftig murmeln:
„Du hast es den Leuten gezeigt, diesen großen dummen Rüpeln! Du hast ihnen gesagt, was sie sind!"
„Ich habe nur das gesagt, was alle Menschen sind, ob groß oder klein, Ann", erwiderte er leise, doch er empfand eine eigenartige Genugtuung darüber, dass sie seine manchmal grausamen Scherze hinnahm. Gleich darauf wurde er jedoch von einem noch tieferen Gefühl grenzenloser Verwirrung überkommen. „Sieh zu Carys hin", äußerte er eindringlich. „Ist sie auf dem Seil nicht wunderbar?"
Er schaute seinerseits zu ihr, weil er Angst davor hatte, den Kopf zur Seite zu drehen und dann zu sehen, wohin Ann den Blick gewandt hatte, ob sie die Augen auf die Seiltänzerin gerichtet hatte oder noch immer auf ihn. Er nahm sich vor, ein ernstes Gespräch mit diesem schwärmerischen Mädchen zu führen und ihr klar zu machen, dass die meisten Zwerge keine sicheren Begleiter seien. Aber jetzt war dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Carys schwankte und
drohte vom Seil zu fallen. Blitzschnell rannte Deri mitten auf die Straße. Wie aus einem Mund schrie die Menschenmenge auf, bis Carys das Seil ergriffen hatte, sich hochzog, daran herumschwang, die Beine durch die Arme schob und sich auf das Seil setzte.
„Ein Gabe, gute Leute", rief sie, „pour boire. Ich bitte euch, ich muss essen, um wieder tanzen zu können."
Aus dem Augenwinkel nahm Deri wahr, dass der Wirt Ann ergriff und ihr eine Ohrfeige gab. Einen Moment lang erstarrte er, setzte dann jedoch die Arbeit fort und hielt sich dabei vor, Anns Vater habe Recht. Ann hätte keine Zeit damit vertrödeln dürfen, mit ihm zu reden, wenn im Laden so viel zu tun war. Trotzdem war er todtraurig, während er von einer Person zur anderen hüpfte, seine Kappe hinhielt, die Leute bedrängte und beschwatzte und ihnen damit drohte, dass Carys, wenn sie nicht genug gäben, die größeren Wunder, zu denen sie imstande war, nicht zeigen würde.
Nach einer Weile wurde die Kappe so schwer, dass sie in der Mitte einsank. Deri musste sie mit beiden Händen halten, damit sie offen blieb. Es waren so viele Münzen vorhanden, dass er sich wünschte, er könne kurz verschwinden, um einen Teil der Einnahmen beiseite zu legen, damit andere Leute mehr gaben. Doch das Problem löste sich von selbst, da Caiys, obwohl er den Hut nicht einmal einem Drittel der Zuschauer hingehalten hatte, wieder auf das Seil ging und den zweiten Teil ihrer Vorführung begann, weil sie die wachsende Ungeduld der Leute
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