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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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fasziniert, starrte Deri auf Ann hinunter. Er konnte nichts für sie empfinden. Er kannte sie nicht einmal, aber dennoch empfand er bei dem Gedanken, sie könne ihm zuschauen oder ihn auch nur in seinem Kostüm sehen, eine eigenartige Anwandlung von Unbehagen.
    „Wahrscheinlich wird dir nicht gefallen, was du zu sehen bekommst", erwiderte er harsch.
    Sie wollte etwas sagen, wurde jedoch durch neues, ungeduldig klingendes Geschrei in der Kochstube davon abgebracht und schaute, sichtlich verängstigt, zurück.
    Nichtsdestoweniger nahm sie sich die Zeit, trotzig zu sagen: „Doch, es wird! Doch, es wird!" Aber dann erschien ihr Vater an der Hintertür, und sie rannte zu ihm, wobei sie über die Schulter zu Deri zurückrief: „Geh jetzt. Carys will in dem Kleid nicht in der Nähe des Wirtshauses auf der Straße herumstehen müssen."
    „Oh, verdammt!" murmelte Deri, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los.
    Blöde Gans! Warum hatte sie nicht gleich gesagt, was am wichtigsten war? Warum musste sie ihn mit ihrem Gerede aufhalten, derweil Carys wahrscheinlich von jedem Lüstling in der Stadt belästigt wurde? Aber Carys war nicht vor der Bierstube, und Deri verlangsamte die Schritte. Zerknirscht dachte er, er sei blöde, nicht Ann.
    Beschützt, wie sie war, behandelt wie ein Kind, konnte sie keine Ahnung haben, was Carys, sobald diese wie eine Tänzerin angezogen war, widerfahren mochte, wenn man sie herumstehen sah, als würde sie auf Kunden warten.
    Ehe Deri jedoch gezwungen war, sich zu fragen, warum er stehen geblieben war und Ann zugehört hatte, statt sofort loszugehen und Carys zu treffen, sah er sie mit dem zusammengerollten Seil über der Schulter, das abgeschnittene fuchsrote Haar unter einem grellen Gewirr von bunten Tuchstreifen verborgen, leichtfüßig auf sich zurennen, schon gefolgt von schreienden Kindern. Er beobachtete sie und biss die Zähne zusammen, als ein Mann mit ausgestreckter Hand Carys aufhalten wollte. Es war keine Überraschung für ihn zu sehen, dass sie dem Mann geschickt auswich, aber dennoch war er wütend. Im nächsten Moment war er nahe genug, so dass er auf die Straße treten und „Seiltänzerin!" rufen konnte.
    Sie blieb stehen und schaute ihn mit gut geheuchelter Überraschung an. „Hat man dafür Töne! Ein Zwerg!" rief sie aus.
    „Wo ist deine Truppe?" fragte er.
    „Ich bin allein", antwortete sie laut. „Joris glaubte, er könne mich durch Schläge dazu bringen, ihm meinen Anteil abzutreten. Deshalb habe ich ihn verlassen. Der Wirt in dem Speisehaus dort drüben hat mir die Erlaubnis gegeben, mein Seil an seinem Geschäft anzubringen, und ..."
    „Wer wird das Seil für dich spannen?" erkundigte sich Deri. Ehe Carys antworten konnte, fuhr er fort: „Gib mir ein Drittel deiner Einnahmen, und ich werde nicht nur das Seil für dich spannen, sondern auch die Trommel für dich rühren."

    Abgemacht!" rief Carys fröhlich aus.
    Mittlerweile hatten sich etliche Leute eingefunden, von denen einige ihr und Deri zum Speisehaus folgten, wo sie Deri, ganz so, als würde man einander nicht trauen, davor warnte, nicht zu wagen, auch nur einen Teil der Einnahmen verschwinden zu lassen, derweil sie auf dem Seil sei. Er protestierte laut genug, er würde nicht für jemanden arbeiten, der ihn einen Dieb nannte. Passanten und Soldaten, die sich nach der Quelle des Lärms umdrehten, wurden von Carys' grellbuntem Kleid und ihrer auffallenden Gestik gefesselt, die sich in der Tat sehr von der des Jungen unterschied, der auf dem Dachboden des Speisehauses logierte.
    Sowohl Deri als auch Carys hatten eine wunderbare Zeit bei der Vorführung ihrer schauspielerischen Fähigkeiten, waren indes beide klug genug zu wissen, wann sie damit nicht mehr solchen Eindruck schinden würden. Im kritischen Augenblick grinste Deri anzüglich und bot an, sein zusätzliches Entgelt in anderer Form annehmen zu wollen. Dann griff er nach dem Seil und betrat die Bierstube. Nach einiger Zeit fiel ein Ende des Seils aus einer Öffnung unter dem Dach an der Vorderseite des Gebäudes herunter, während Deri ein Ende an einer Strebe festmachte.
    Freudengeschrei umgab Carys, derweil sie das Seil zum Speisehaus trug und wie ein Eichhörnchen an der Außenseite hochkletterte, während Deri um das Gebäude herum und auf den Dachboden rannte. Sie steckte das Seil in eine Luke des Dachtürmchens, setzte sich dann auf das niedrige Dach und ließ die Beine baumeln, derweil Deri das Seil befestigte.
    Inzwischen hatte der größte

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