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Wortwechsel war Deri zu seinem Platz zurückgekommen, und derweil Carys der Gedanke durch den Sinn ging, Ann könne etwas vorenthalten bleiben, schaute sie den Zwerg an. Verärgerung und Besorgnis und Verwirrung drückten sich in seinem Gesicht aus, das nicht mehr so gut aussah, wenn es so starke Emotionen bekundete. Aber der Anblick rührte Carys dennoch sehr stark. Ja, für Ann würde es mit Deri so sein, wie es mit ihr und Telor war, denn Deri würde daran gelegen sein, ihr Freude zu bereiten und sich um sie kümmern.
Plötzlich lachte sie auf, weil sie den Fehler gesehen hatte, den sie gemacht hatte. Sie hatte bei Männern auf deren Aussehen geachtet und auf feine Ausdrucksweise oder gute Kleidung, aber weder Aussehen noch Reichtum waren von Bedeutung. Allein Zuneigung war von Bedeutung.
„Du hast allen Grund zu lachen", sagte Deri und schaute Carys an. „Das Geld, das ich heute eingenommen habe, wird einen Monat lang reichen, und ich glaube, einige Tage lang wird die Zuschauerzahl noch größer sein, weil die Leute anderen von deinen Fähigkeiten berichten. Dann wird es weniger Zuschauer geben, aber immer noch so viele, dass der Wirt froh sein wird, dich so lange, wie du bleiben willst, bei ihm zu haben."
„Du hast gesagt, dass du in einigen Tagen fort sein wirst. Wie kann ich dann noch länger hier bleiben?" fragte Carys und lachte, da Deri nicht antwortete, ein weiteres Mal. „Du kannst nicht in die Nähe von Marston gehen, Deri. Man erkennt dich sofort, und durch deine Anwesenheit wird man wissen, dass auch Telor da ist. Er hat vor, sich heimlich Zugang zu verschaffen, um Orin zu töten und vielleicht auch, um einen Auftrag von Lord William zu erledigen."
„Er hat dir alles erzählt!" rief Deri entsetzt aus.
„Nein, natürlich nicht", entgegnete Carys. „Aber er hat mir seine Gründe dafür erläutert, warum er sicher sein muss, dass Orin tot ist. Und wie könnte er sicherer sein, als wenn er selbst ihn umbringt? Und warum hat er dann, seit wir aus Marston geflohen sind, seinen Bart nicht abrasiert? Er gefällt ihm nicht. Das merke ich an der Art, wie er daran zupft. Aber in Marston kennt man ihn als sauber rasierten Barden.
Vermutlich wird man ihn nicht als bärtigen . . . Gottweißwas erkennen. Er hat kein Gesicht, an das man sich erinnern würde - anders als du, Deri."
Deri blickte auf sein halb verzehrtes Essen, als habe er keine Ahnung, was er vor sich hatte. „Die Sache scheint dir gleich zu sein", sagte er tonlos und unbewegt.
„Das ist nicht wahr", widersprach Carys. Sie hatte eher überrascht als vorwurfsvoll geklungen. „Ich bin nur noch nicht sicher, was ich unternehmen soll."
„Nichts!" platzte Deri heraus. „Du wirst nichts tun! Du bleibst hier und tanzt auf dem Seil, bis Telor und ich dich holen kommen. Telor und ich haben genügend Sorgen und müssen uns nicht auch noch um dich sorgen."
„Es besteht keine Notwendigkeit, dass ihr euch um mich sorgt", versicherte Carys Deri. „Ich bin nicht so dumm zu glauben, ich könne in Marston über eine Mauer klettern und so auf das Gelände gelangen. Die Wachen sind alle sehr auf der Hut und halten Ausschau nach jemandem, der sich heimlich einschleichen wird, und wenn ich das
täte, würde ich vielleicht das, was Telor zu tun versucht, verraten."
Deri gab einen tiefen Seufzer der Erleichterung von sich. „Das ist wahr, Caiys. Denk also daran, dass du, falls du versuchst, hilfreich zu sein, alles zunichte machen könntest. In jedem Fall musst du dir Telors wegen keine Sorgen machen. Er ist klüger, als du denkst, und ... er hat dich lieb. Er will nicht sterben. Er wird gut auf sich Acht geben."
„Ja, aber..."
Deri blieb jedoch nicht, um den Rest zu hören. Er ließ sein Essen stehen und ging weg. Von der Haustür her rief er dem Wirt zu, er solle die Hintertür des Ladens offen lassen, damit er sich dort hinlegen konnte. „Meine Freunde spielen die ganze Nacht sehr geräuschvolle Spiele", beschwerte er sich, „und lassen mich nicht in Frieden schlafen. Ich werde darauf achten, dass nichts gestohlen wird. Falls dir etwas abhanden kommen sollte, bezahle ich es."
Nachdem Deri das Einverständnis des Wirts erhalten hatte, ging er auf die Hauptstraße und weiter zu Lord Williams Haus, um auf Telor zu warten. Wäre er bei Caiys geblieben, hätte sie ihm arglos erzählt, was sie über die Strategie der Lieben Frau dachte, und dann wäre er hellhörig geworden und hätte sie mehr im Auge behalten. So jedoch hatte er sich durch ihre
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