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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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sie sich an ihn geklammert hatte, war durch die Anstrengung gekommen, nicht dem Drang nachzugeben, sie von sich zu stoßen. Das einzige Bild, das ihm in den Sinn gekommen war, als sie den Arm um ihn geschlungen hatte, war das einer Armee von Läusen und Flöhen gewesen, die sich von einem mageren Opfer auf ein für sie geschmackvolleres stürzten. Nun bereute er bitter, angehalten und Carys zu sich aufs Pferd genommen zu haben, obwohl Predigten über die Barmherzigkeit und sein Gefühl für Menschlichkeit ihm Gewissensbisse erzeugten.
    Bis Carys ihren Namen und ihre Profession genannt hatte, war er überzeugt gewesen, eine Hure vor sich zu haben, und dass der Burgherr beschlossen hatte, sie seinen Männern zu überlassen, weil sie habgierig oder unehrlich gewesen war. Sie hatte durchblicken lassen, sie sei vollkommen schuldlos, aber das glaubte er nicht.
    Von einer Truppe fahrenden Volks verbreiteten sich Gerüchte schnell zur nächsten, und Burgherren, die diese Leute ohne Grund misshandelten, stellten bald fest, dass sie niemanden mehr zur Unterhaltung hatten. Doch dann erinnerte sich Telor, dass die Veste, wo Carys getanzt hatte, vor kurzem durch einen Angriff eingenommen worden war. Das verlieh der Behauptung, schuldlos zu sein, eine gewisse Glaubwürdigkeit.
    Wenn Carys keine Hure war, würde es unmöglich sein, sie einfach in der nächsten Stadt zurückzulassen, wie er das ursprünglich vorgehabt hatte. Eine Seiltänzerin konnte nicht allein auftreten.
    Würde er sie wegschicken, zwänge er sie zur Hurerei, und das erschien ihm grausam. Nachdem er zu dieser Schlussfolgerung gelangt war, beschloss er, sich Carys' Geschichte noch ein zweites Mal unvoreingenommen anzuhören.
    „Sag mir, warum deiner Meinung nach deine Leute angegriffen wurden. Es ist ungewöhnlich, dass eine ganze Truppe umgebracht wird, selbst wenn der Burgherr Grund hatte, auf die eine oder andere zu dieser Truppe zählende Person wütend zu sein."
    Er rechnete damit, dass Caiys vehement jede Schuld von sich weisen würde, aber sie schüttelte den Kopf und erwiderte: „Es war keine große Truppe. Nur wir waren da, Ulric und ich. Ich musste wie eine gemeine Dirne auf dem Fußboden tanzen, denn Ulric wollte mein Seil nicht spannen. Aber du wolltest wissen, warum er getötet wurde. Ich nehme an, er war dumm, und die Männer in der Burg waren noch vom Kämpfen im Blutrausch."
    „Er hat bei einem Glücksspiel gemogelt?" vermutete Deri. Seine tiefe Stimme hatte verächtlich geklungen.
    „Nein, nicht bei einem Glücksspiel", antwortete Carys. „Er hat immer Wetten über das abgeschlossen, was er tun konnte, und dann gewonnen. Soweit ich weiß, hat dieser Narr gesagt, er könne einen Mann über die Mauer werfen, und das dann getan. Der Mann kam ums Leben. Als die Männer in die Halle rannten, in der ich tanzte, schrien sie etwas in der Sprache des Herrn. Das meiste kann ich verstehen und sogar ein wenig in dieser Sprache sagen, aber ich war so verstört, dass das, was sie sagten, keinen Sinn für mich ergab. An der Art, wie sie mich angesehen haben, merkte ich, dass sie Arges vorhatten."
    „Was ist mit dem Rest der Truppe passiert?" fragte Telor neugierig, aber auch, um Carys von den schrecklichen Erinnerungen abzulenken.
    „Eins nach dem anderen", antwortete sie und zuckte mit den Schultern. „Es fing damit an, dass Morgan betrunken war und dabei ertappt wurde, wie er die Knöchelchen anders legte. Der Mann, mit dem er spielte, brachte ihn um. Das war vor drei Jahren. Damals waren wir neun Leute und hatten einen Wagen für die Kleider und Decken und eiserne Pfosten für mein Seil. Wir führten Stücke auf.
    Manchmal war ich eine vornehme Dame, manchmal eine alte Vettel. Und die Zuschauer nahmen mir beides ab. Ich verstellte die Stimme und ging anders. Das hat Morgan mir beigebracht. Seinerzeit sind wir sogar in Burgen aufgetreten. Das ist erst drei Jahre her."
    Den Rest der Geschichte konnte Telor sich denken. Da niemand mehr da gewesen war, der die Gaukler hatte zusammenhalten können, war es zu Streitereien gekommen, und die Truppe hatte sich aufgelöst.
    „Wie bist du an diesen Ort gekommen?" fragte Telor. „Woher kamst du?"
    „Wir waren in Chippasham, als dort die Nachricht eintraf, dass im Westen der nach Marlborough führenden Straße Kämpfe ausgebrochen seien. Daher hat man uns aus der Stadt gejagt. Wir wussten, dass es nicht lange vorher bei Devizes Kämpfe gegeben hatte. Daher erschien es uns nicht sicher, nach Süden zu ziehen.

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