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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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Getreide noch nicht reif. Daher kam es ihr seltsam vor, dass man zu dieser Jahreszeit mit dem Brauen beginnen wollte. Andererseits konnte sie sich keinen anderen Grund dafür denken, dass die Wirtin jetzt heißes Wasser in den Zuber schüttete, und im Übrigen stand es ihr ohnehin nicht zu, Kritik zu üben. Eifrig näherte sie sich dem Geschehen, erfreut über die Gelegenheit, etwas Neues und anderes zu beobachten und dabei vielleicht etwas Nützliches lernen zu können.
    Nachdem der Zuber auf dem Fußboden stand, hatte Telor sich zu ihr umgedreht. Er schwieg jedoch. Ihre großen Augen und ihr offenkundiges lebhaftes Interesse ließen ihre Miene kindlich staunend wirken, so dass er annahm, sie freue sich darauf, baden zu können. Es war ihm nicht möglich gewesen, mit Deri darüber zu reden, was man mit ihr machen solle, da der Zwerg sich am vergangenen Abend sinnlos betrunken hatte. Vielleicht hatte er sich ja auch getäuscht, als er dachte, Carys' Lage sei hoffnungslos. Während der Nacht war er zu einer Carys betreffenden Entscheidung gelangt. In der Frühe hatte er diese Entscheidung geändert. Und noch immer konnte er nicht mit Deri über das Problem reden. Er zuckte mit den Schultern. Es war noch Zeit genug für das, was er vorhatte, derweil Deri seinen Rausch ausschlief.
    Er hatte nicht so gut wie Carys geschlafen. Wenngleich er gewusst hatte, dass es unmöglich gewesen wäre, Carys am Straßenrand liegen zu lassen, war er auch über die Umstände und die Unbequemlichkeiten verärgert gewesen, die sie ihm bereiten würde. Deri fügte sich gut ein, ganz gleich, wohin man zog. In Dörfern und kleinen Herrensitzen spielte er den Narren und war der Hauptunterhalter. Vor Adligen spielte er die Rolle von Telors sauberem, manierlichem Diener und hob so dessen Ansehen. Im Gegensatz zu Deri würde Carys gleichermaßen in einem Dorf wie in einer Burg eine Katastrophe sein. So dreckig und schmuddelig, wie sie war, würden die Dorfweiber versuchen, Telor und seine Begleiter zu vertreiben, weil sie annahmen, er habe eine Hure mitgebracht, die ihren Männern die wenigen Pennys, die sie hatten, aus der Tasche ziehen solle. In den Burgen wurde ein als Diener gekleideter Zwerg vielleicht akzeptiert, doch wenn Telor auch noch eine Tänzerin mitbrachte, würden viele Herren ihn nur für einen Gaukler halten und ihn nicht auffordern, in der Großen Halle zu singen.
    Der Herr von Combe war genau der Mann, von dem Telor in aller Öffentlichkeit Verachtung entgegengebracht würde, weil er behauptete, die alten Traditionen der Barden zu bewahren und sich dennoch dadurch herabsetzte, dass er sich mit einer gewöhnlichen Tänzerin eingelassen hatte, nur um der wenigen Farthings willen, die sie verdienen konnte. Und es gab keine Möglichkeit, wie Telor sich hätte verteidigen können. Ein Wort zu viel, und er war tot oder verstümmelt oder ein für alle Mal eingekerkert. Ein Handwerker hatte seine Gilde und die Stadt, die ihn beschützen.
    Ein gewöhnlicher Leibeigener hatte seinen Herrn, der ihn der eigenen Ehre willen gegen Fremde in Schutz nahm, selbst wenn der Herr die Leibeigenen unterdrückte.
    Nur die Spielleute hatte niemanden, der ihnen zum Schutz die Hand reichte, ganz so, als seien sie Gesetzlose. Dann erinnerte Telor sich daran, dass auch Carys zum fahrenden Volk gehörte.
    Er schwankte zwischen Mitleid und den eigenen Interessen und gelangte schließlich zu einem Kompromiss. Er hatte etwas Geld. Der nächste Auftritt war sicher, und weil dieser bei einer Hochzeit in einer stattlichen Burg stattfinden sollte, konnte Telor nicht nur damit rechnen, von den de Dunstanvilles belohnt zu werden, sondern auch, von vielen der Gäste reichen Lohn zu erhalten. Daher beschloss er, den größten Teil der Münzen, die er bei sich hatte, Carys zu geben. Der Betrag würde reichen, um ihr Essen und
    Unterkunft zu verschaffen, ohne dass sie huren musste, bis sie dann eine andere Truppe fand, die ihrer Fähigkeiten bedurfte.
    Diese Entscheidung hatte es Telor ermöglicht, Schlaf zu finden, doch als er morgens erwacht war und sie Carys hatte mitteilen wollen, war er in seiner Entschlossenheit wankend geworden. Das Gesicht, das er gesehen hatte, war so jung gewesen - mit tiefen Schatten um die Augen und bleichen, eingefallenen Wangen. Der kleine Mund war selbst im Schlaf verkniffen gewesen. Welchen Nutzen hatte Geld für ein Kind, dem wahrscheinlich nie erlaubt gewesen war, einen Farthing auch nur zu berühren?
    Die Männer hatten gewiss alles

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