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in der Stadt umher, und schließlich, als Deri mit dem Seil über der Schulter erst den einen und dann mit dem Ende des Seils zwischen den Zähnen den anderen
Galgen erklomm, hatte eine beträchtliche Menschenmenge sich eingefunden.
Auf dem Weg in die Stadt hatte Carys Deri gezeigt, wie die Knoten zu machen waren. Sie hatte ihm auch gesagt, wann er während ihrer Darbietung den Anschein erwecken musste, ihr zu drohen. Gemeinsam hatte man einen neuen Ablauf für die Darbietung entwickelt, der alte Witze und Faxen enthielt, die jedoch einen verschlagenen, lüsternen Unterton hatten und nicht wie die eines Einfaltspinsels wirkten.
Carys schaute zu, wie er das Seil spannte, und wünschte sich, nicht vorgeschlagen zu haben, er solle den Bösewicht spielen. Sollte sie vom Seil fallen, würden die Zuschauer den armen Deri in Stücke reißen. Aber jetzt war es für Gewissensbisse zu spät, denn er rief ihr zu, sie solle bleiben, wo sie war, und nicht versuchen wegzulaufen, und außerdem hatte er sie, derweil er auf die Galgen geklettert war, dauernd finster angestarrt. Kaum war er von dem zweiten Galgen heruntergeklettert, jagte er sie sofort den Pfosten hinauf, den sie zum Ausgangspunkt ihrer Darbietung bestimmt hatte. Er hatte ihre Warnung, nicht zu grob zu erscheinen, falsch verstanden und sich den Anschein gegeben, noch bösartiger zu sein.
Einige Zartbesaitete stießen Protestschreie aus, die sich jedoch in Gelächter verwandelten, nachdem Deri seine Rede angefangen hatte, die offensichtlich dazu bestimmt war, Carys' Auftritt einzuleiten, jedoch bald zu den Kunststückchen eines Narren wurde. Carys tat, was sie konnte, um Deris Grausamkeit aus dem Gedächtnis zu verbannen, hockte sich auf den Kreuzarm des Galgens und ließ gemächlich die Beine baumeln. Nachdem Deri mit seiner Arbeit fertig war und einige Münzen aufgehoben hatte, die er, als sie ihm zugeworfen worden waren, nicht aufgefangen hatte, war die Menschenmenge beträchtlich angewachsen. Sehr viel mehr Leute waren zum Anger gelockt worden, zum Teil durch die Zuschauer, zum Teil durch das brüllende Gelächter und die Beschimpfungen. Carys hatte überlegt, was sie tun könne, um Deri zu beschützen, wagte jedoch nicht, ihre Darbietung zu verändern.
Der zeitliche Ablauf war für sie ebenso wichtig, wie die einstudierten Bewegungen das waren.
Als Reaktion auf Deris Befehl erhob sie sich langsam und stellte zögernd einen Fuß auf das Seil. Sie drückte es und hob mehrmals den Fuß, um das Gefühl für die Spannung an diesem Ende zu bekommen. Deris zu ihr heraufdringende Stimme klang ungeduldig, während der Zwerg sie anwies weiterzugehen. Sie machte einen Schritt auf das Seil und hob die Arme, derweil sie in den Füßen das Gefühl für das Seil bekam. Es war härter, etwas weniger nachgiebig als ihr altes, aber eine innere Stimme sagte ihr, es würde sich spannen. Deri rief ihr wieder etwas zu, und sie machte einen weiteren Schritt, dann noch einen, schnelleren, und den vierten noch schneller, bis sie mit ausgestreckten Armen lief und mit ihnen wedelte, so dass sie leicht von einer Seite zur anderen schwankte, bis sie die Mitte des Seils erreicht hatte. Dass sie die Hälfte der Strecke erreicht hatte, verriet ihr das leichte, für die Zuschauer jedoch nicht wahrnehmbare Durchhängen des Seils. Sie wurde etwas langsamer, damit sie noch unsicherer und ihre Darbietung dadurch für die staunende Menge aufregender wirkte.
Dem Plan entsprechend, fing Deri wieder an, ihr zu drohen, und sie begann erneut, sich auf dem Seil zu bewegen. Sie lieferte ihren Tanz ab, glitt, bückte sich, hob einen Arm, dann den anderen und legte sich in die Schräge, um das Gegengewicht zum Arm zu haben. Zunächst tat sie das langsam, dann immer schneller, tanzte in eine Richtung, drehte sich um und tanzte in die andere, lief das Seil hoch, als wolle sie die Darbietung beenden, in Wirklichkeit jedoch die Spannung des Seils erkundend. Sie machte wieder kehrt und hielt an, als Deri ihr etwas zuschrie, blieb sie schwankend stehen, dachte an die Gefahr, die mit einem neuen Seil verbunden war, empfand Herzklopfen bei der Herausforderung, und bückte sich schließlich langsam, sehr langsam, und stemmte die Hände auf das Seil.
Es war eine sehr erfolgreiche Darbietung. Aus der Menschenmenge war kein Laut zu vernehmen, während Carys den Handstand machte, und als sie wieder aufrecht auf dem Seil stand und zum Galgen lief, hörte sie Schreie und Beifall. Als Deri sie anzutreiben schien, die
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