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032

Titel: 032 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Seiltänzerin
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anzureichern. Die Hingabe an ihre Kunst machte sie blind gegen die Tatsache, dass Telor sie aufmerksam beobachtete, doch seine Schreie, wenn sie vom Seil fiel, weil sie etwas Unmögliches ausprobiert hatte, verärgerten sie. Sein Lob und seine Bewunderung weckten in ihr jedoch eine gefährliche Reaktion der Zufriedenheit.
    Aus diesem Grund war sie umso eifriger darauf bedacht, hier zu verweilen. Solange es überhaupt keine Gelegenheit dazu gab, mit Telor ungestört zu sein, musste sie nicht darüber nachdenken, wie sie mit ihrem Verlangen nach ihm umgehen solle. Gelüste, gleich welcher Art, waren leicht zu beherrschen, wenn es keine Möglichkeit gab, sie zu befriedigen. Beim ersten Regen hatte sie verbittert leise geflucht, weil ihr plötzlich klar geworden war, dass sie neben dem einen Mann oder dem anderen würde schlafen müssen.
    Schließlich hatte sie sich entschieden, sich neben Telor zu legen, nicht, weil sie ihn weniger fürchtete - genau genommen ängstigte sie sich vor Deri überhaupt nicht, befürchtete jedoch, ihm Seelenschmerz zu bereiten. Inzwischen hatte sie ihn ehrlich gern, aber nicht in der Weise, wie er sich gewünscht hätte, von ihr geliebt zu werden, wenn er beim Erwachen Verlangen verspürt hätte. Daher hatte sie sich entschieden, an Telors Seite zu liegen, aus Ästen und Farnblättern eine Trennlinie zwischen ihnen beiden gemacht und sich von ihm so weit wie möglich ausgestreckt.
    In der ersten Nacht waren diese Vorsichtsmaßnahmen reine Zeitverschwendung gewesen. Telor hatte noch zu starke Schmerzen, um Caiys Avancen zu machen, und da Deri in unmittelbarer Nähe lag, bestand kaum die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Telors Annäherungsversuche einging. Als es zum zweiten Mal regnete, machte sie sich nicht die Mühe des Zeit raubenden Aufwands, die Trennungslinie herzurichten. Sie war der Ansicht, sie habe ihre Einstellung schon beim ersten Mal deutlich klargemacht und die Anwesenheit eines Dritten hielt Telor zurück. In dieser Nacht schlief er jedoch nicht gut und war sich trotz seiner schmerzenden Rippen und der juckenden Hüftwunde Carys' Nähe allzu bewusst.
    Er redete sich ein, seine Gefühle für Carys seien reine Lust, glaubte das indes nicht mehr. Seine Bewunderung dafür, was sie auf dem Seil tat - oder ausprobierte -, ließ sie ihn in einem anderen Licht erscheinen. Zwar hatte er nicht den Standpunkt geändert, dass Schausteller gesellschaftlich weit unter ihm standen, doch Carys war auf ihrem Gebiet eine Künstlerin, noch dazu eine große. Er hatte Seiltänzerinnen gesehen, doch keine davon war wie sie gewesen. Die Anmut ihrer Bewegungen, die ranke, geschmeidige Gestalt, die geschickt auf dem dünnen Seil balancierte, verstärkten sein Verlangen nach ihr in beinahe schmerzhafter Weise, und diese Begierde konnte nicht befriedigt werden, bis er mit Carys ungestört war.
    Deri unterstützte Carys' Standpunkt, man solle in diesem Lager bleiben. Natürlich wollte er sicher sein, dass Telor ganz genas, aber es war auch so angenehm, so bequem, mit zwei Menschen hier zu sein, die in ihm nur Deri den Menschen sahen.
    Wo immer man sonst hinzog, war er entweder Deri der Zwerg, oder nur „ein Zwerg". Er war daran gewöhnt, doch jeder Mensch brauchte eine Zeit, in der er ganz er selbst sein konnte, abgesehen davon, was das Leben aus ihm gemacht hatte, und hier im Lager war es das erste Mal, seit ihm seine Familie genommen worden war, dass er nicht mit scheelen Blicken betrachtet wurde.
    Am neunten Tag änderte sich das Wetter, und es begann fürchterlich zu regnen. Als der Regen endlich nachließ, waren Telor, Deri und Carys bis auf die Haut durchnässt.
    Telor meinte, es sei dumm, in der Kälte und Nässe herumzusitzen, wenn man innerhalb von zwei Stunden in Marston und noch eher in Creklade im Warmen und Trockenen sein könne. Niemand widersprach ihm. Die durchweichten Sachen wurden eingepackt, und obwohl Telor sich langsamer und bedächtiger bewegte, war klar, dass seine gebrochenen Rippen gut verheilten.
    Als man in der Nähe von Creklade war, schien der Regen ganz aufzuhören, und daher bestand Telor darauf, dass man weiterritt. In Marston würde man in aller Bequemlichkeit untergebracht sein. Jedenfalls sagte er das, fand jedoch, er könne nicht noch eine Nacht ertragen, in der Carys nur einige Handbreit von ihm entfernt war, er das Bild ihres ranken Körpers vor Augen hatte, der in dem dünnen, schweißgetränkten, ihr auf der Haut klebenden Hemd so gut wie nackt wirkte.
    Erneut

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