0320 - Der Fluch von Babylon
Sieg hatte mir ein wenig Auftrieb gegeben, und ich fühlte mich wieder besser.
Ich war also doch nicht so hilflos. Bevor ich mich daran begab, alles auf eine Karte zu setzen, schaute ich noch einmal in die Höhe.
Die Luft war im wahrsten Sinne des Wortes rein.
Kein Gegner mehr.
Ich legte das Kreuz wieder auf die Knie. Langsam und mit bedächtigen Worten sprach ich die Formel.
»Terra pestum teneto – Salus hic maneto!«
Die Erde soll das Unheil halten, das Heil soll hierbleiben!
So lautete die Übersetzung der Formel, und auf diese Worte reagierte das Kreuz.
Aber anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich war plötzlich nicht mehr existent. Jemand hat mal das Wort abgehoben benutzt, und so kam ich mir vor.
Urplötzlich hatten die Dimensionen überhaupt keine Bedeutung mehr für mich. Länge, Breite und Höhe waren zusammengeschoben und wurden gleichzeitig auseinandergerissen.
Ich schwebte im Vakuum!
Schon einmal hatte ich mich so gefühlt, als ich in Okastras Nebel eintauchte, und dennoch konnte ich beide Dinge nicht miteinander vergleichen. Bei dieser Magie, die mich umfaßt hielt, fühlte ich mich sicher wie im Schoß des Stammvaters Abraham.
Ich spürte keine Angst.
Einen Mensch ohne Angst gibt es vielleicht gar nicht. Jeder hatte Angst, wenn er einen Körper besitzt, ich besaß keinen mehr und glaubte daran, wieder ein Geistwesen zu sein.
Um mich herum schwebte eine gewaltige Lichtfülle, die mich auf zarten Händen trug oder wie in einer Wiege aus Daunen liegend.
Der überirdische Glanz hielt mich umklammert, ich konnte die Augen öffnen, ohne geblendet zu werden.
Ich sah und sah doch nicht.
Dafür hörte ich die Stimme. Für einen Moment glaubte ich an den Seher, dann vernahm ich eine Sprache, die mir im ersten Augenblick fremd war, dann aber plötzlich vertraut.
Sogar meinen Namen kannte der Unbekannte und für mich Unsichtbare, denn er redete mich direkt an. »John Sinclair, Geisterjäger und Sohn des Lichts, du bist gekommen, doch die Zeit ist zu früh. Ich kann dir nicht alles zeigen, ich darf dich noch nicht in sämtliche Geheimnisse deines Kreuzes einweihen. Es gibt Mächte über mir, die man Schicksal nennt und es mir verboten haben. Man hat dich in meine Zeit geschleppt, in der die Jahre der Finsternis, der Gefangenschaft, und ich sehe, obwohl ich schon nicht mehr unter den Lebenden weile, mein Volk leiden. Daher leide ich mit. Ich weinte Tränen, denn mein Volk schmachtet weiterhin in der babylonischen Gefangenschaft und leidet unter der Knechtschaft des furchtbaren Götzen Baal, der alles an sich reißen will…«
»Bist du Hesekiel?« Ich mußte die Frage stellen, sie brannte mir auf den Lippen.
»Denke einfach, daß es so wäre«, wurde mir orakelhaft geantwortet.
»Dann hilf mir! Hilf mir bitte, meine Freunde und auch alle anderen aus dieser Knechtschaft zu befreien!«
»Es geht nicht, Sohn des Lichts. Die Mächte des Schicksals und der große, allwissende Lenker haben es anders vorgesehen. Du kannst in die Geschichte nicht eingreifen, du mußt wieder zurück in deine Zeit. Dies hier ist der falsche Platz.«
»Aber ich kann nicht mehr zurück!« rief ich verzweifelt. »Es geht nicht, wenn mir keiner hilft. Und auch das Schicksal meiner Freunde hängt daran.«
»Ich werde dir helfen, obwohl ich damit vielleicht ein Gesetz breche. Aber du, Geisterjäger, trägst das, was ich einst geschaffen habe. Es ist dazu bestimmt, das Böse auszumerzen. Hier lauert das Böse. Du wirst gegen Baal antreten und ihn nicht vernichten können. Doch sei auf der Hut! Es gibt einen Dämon, der unter Baals Schutz steht…«
»Okastra!«
»Sehr richtig, Sohn des Lichts. Okastra wird er genannt. Ein gefährlicher Diener, der viel später gelebt hat als Baal, ihn aber verehrte und sich seines Schutzes sicher sein kann. Wenn du etwas erreichen willst, müssen wir zu einer List greifen.«
»Sag sie mir, Hesekiel, ich mache alles, was du willst…«
»Nicht so voreilig, Sonn des Lichts Die Eile kann gefährlich sein und führt oft in den Abgrund. Höre genau zu, wenn ich dir meinen Plan jetzt unterbreite…«
Ich hörte zu und lag still, wie auf einem Kissen aus Luft schwebend.
Hesekiel sprach, und was er sagte, war für mich fast unbegreiflich.
»Ich Wußte, daß alles so kommen würde, und ich habe auch schon Vorsorge getroffen. Es gibt in der Gefangenschaft einen Mann, der vielleicht so alt ist wie du. Er hat sich damals, als ich noch lebte, schon auf meine Seite gestellt Und wegen mir die
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