0320 - Der Fluch von Babylon
vorzubereiten, konnte sie nicht mehr an sich halten und brach über der Leiche zusammen.
Sie weinte.
Es war kein lautes Klagen, wie bei ihrem Volk üblich, sondern ein stilles, dennoch verzweifelndes Trauern, denn jetzt, das wußte sie, gab es kein Zurück.
Das Schicksal mußte seinen Lauf nehmen…
Minutenlang lag sie über der Leiche. Sie vergaß Zeit und Raum.
Irgendwann richtete sie sich wieder auf, wischte über ihre Augen und sah schattenhaft eine hochgewachsene Gestalt neben sich stehen.
***
Die Gestalt war ich!
Ich hatte schon eine Weile dort gestanden und zugeschaut. Es war mir einfach nicht möglich gewesen, mich bemerkbar zu machen, das hätte eine zu große Überwindung gekostet, denn ich wollte die Trauer der Frau nicht stören. Mit ihrem ersten großen Schmerz mußte sie fertig werden.
Die magische Reise hatte vorzüglich geklappt. Zeitlich kaum oder gar nicht zu erfassen, stand ich plötzlich wieder woanders und hatte endlich das unheimliche Tal verlassen können.
Das Kreuz und Hesekiel hatten dafür auf eine unerklärliche Art und Weise gesorgt. Und es war alles so eingetroffen, wie man es mir mitgeteilt hatte.
Gern hätte ich länger über die Worte des großen Propheten nachgedacht. Über eine Zeit, die noch nicht reif war, und von der er gesprochen hatte, aber ich wußte damit leider nichts anzufangen, und mußte mich zunächst einmal auf das Naheliegende konzentrieren.
Das war Judith.
Ich hörte ihr leises Weinen und wollte schon etwas sagen oder mich auf eine andere Art und Weise bemerkbar machen, als sie plötzlich den Kopf hob und meinen Schatten sah.
Ihr Gesicht lag zufällig im schwachen Schein des durch das schmale Fenster fallenden Lichts. Deshalb konnte ich auch erkennen, wie sie den Mund öffnete, um einen Schrei auszustoßen.
Das durfte nicht geschehen.
Ich war schneller und preßte ihr meine rechte Hand vor den Mund. Dabei hätte ich mich gebückt, so daß ich ihr Gesicht dicht vor dem meinen sah und in die großen Augen schauen konnte.
Beschwörend sah ich sie an. Ohne etwas zu sagen, mußte sie an meinem Blick erkennen, um was es mir ging. Und sie nickte ein paarmal. Für mich ein Beweis, daß ich meine Hand wieder wegnehmen konnte.
Tief holte sie durch den offenen Mund Luft, und sprach mich nach einer Weile in einer Sprache an, die ich nicht kannte, aber dennoch verstand. »Du bist der, den Hesekiel geschickt hat?«
»Ja.«
»Dann bist du der Sohn des Lichts.«
Ich nickte. »So hat mich der Prophet genannt. Ich komme aus einer fernen Zeit, die noch gar nicht gewesen ist, und ich will…«
»Du brauchst nicht weiterzusprechen«, sagte sie. »Man hat mir alles erzählt. Ich weiß auch, daß ich meinem geliebten Mann bald folgen werde. Er ist für eine gute Sache gestorben, für das Volk…«
»Das einmal aus der Versklavung erlöst wird«, vollendete ich. »Irgendwann wird es soweit sein.«
»Du mußt es wissen.«
Ich nickte. »Sicher.«
»Hat der große Geist Hesekiels dir gesagt, was du zu tun hast?«
»Ich muß die Rüstung deines toten Mannes überstreifen, wenn ich recht gehört habe.«
»Richtig. Ich hoffe, daß sie dir passen wird. Es muß uns gelingen, die anderen zu täuschen, sonst sind wir verloren. Die Wächter sind einfach zu stark.«
Während ihrer Worte hatte ich mir den Toten angeschaut. Die Menschen damals waren kleiner gewesen, auch Gideon. Obwohl er für die damalige Zeit schon fast ein Riese war, würde mir die Rüstung ein wenig eng sitzen.
Ich zog sie ihm aus und merkte erst jetzt, wie schwer sie war. Sie bedeckte meinen Oberkörper bis zur Hüfte, ließ die Arme frei. Judith half mir, die Rüstung anzulegen. Als sie es geschafft hatte, nickte die Frau zufrieden. Ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen, denn die Rüstung saß hauteng.
Einen Helm bekam ich auch. Ihn setzte ich auf. Das Visier ließ sich nicht ganz nach unten klappen, weil das Gesicht des toten Gideon schmaler gewesen war. Ich hoffte jedoch, daß dieser Schutz reichte, nicht sofort erkannt zu werden.
Ich hatte die Rüstung über meine Kleidung gezogen. Bis auf ein Feuer war es dunkel, so daß ich damit rechnen konnte, nicht sofort erkannt zu werden.
Judith trat einen Schritt zurück, bevor sie mich anschaute und begutachtete. »Du siehst aus wie er.«
»Fast«, sagte ich.
»Nein, wie er. Sie steht dir gut. Einem großen Kämpfer hat man die Waffen gelassen. Nimm sie an dich.« Sie deutete in eine Ecke.
Dort lehnte das Schwert an der Lehmwand, und ich sah auch einen
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