0326 - Der heulende Tod
Ganz aufgeregt. Ihr Mann hatte sie verlassen. Einfach im Stich gelassen und war spurlos verschwunden. Es war ihr wohl schlecht gegangen. Dann hatte sie ihren Mann plötzlich wiedergesehen. Und sich wieder mit ihm eingelassen. Er war, wie sie sagte, in irgendeiner Organisation. Und sie schwamm im Geld.«
»Wie bitte?«
»Sie gab mir Geld. Viel Geld.«
»Wie viel?«
»Hunderttausend Dollar.«
Ich zündete mir erst mal eine Zigarette an. Auch Karin bat um eine. Ich gab sie ihr.
»Schenkte sie Ihnen das Geld?«
»Ja und nein. Mit zehntausend sollte ich ein Konto eröffnen. Den Rest in ein Stahlfach legen. Davon konnte ich mir nehmen, so viel ich brauchte. Nur einen Schlüssel des Fachs musste ich Doris geben.«
»Welche Bank?«
»Manhattan State Bank.«
Es klingelte in meinem Gehirn. Aber ich ließ mir nichts anmerken.
»Fanden Sie das nicht alles sonderbar?«
»Schon. Aber Doris meinte, sie verdiente sich das Geld sauer genug. Sie sprach von einer Art Abfindung. Deshalb müsse sie auch im Blue Cat weiterarbeiten. Das gehörte zum Vertrag mit der Organisation. Ich glaube, sie hatte auch Angst.«
»Angst? Wovor?«
»Ich weiß nicht. Sie war ganz anders. Ich wollte mehr wissen, aber die bereute schon, überhaupt geplappert zu haben. Sie war nicht mehr ganz nüchtern. Sie verbot mir, sie im Blue Cat zu besuchen. ›Das Gelände ist für dich tabu‹, hatte sie gesagt. Als sie dann ermordet wurde, dachte ich gleich, dass das mit allem Zusammenhängen würde.«
»Warum haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet?«
»Ich… ich…« Sie gab sich einen Ruck. »Ich wollte das Geld behalten. Außerdem…«
»Außerdem?«
»Ich wollte die Organisation kennen lernen.«
»Um an Doris’ Stelle das viele Geld zu verdienen? Ihr Tod hätte Ihnen eine Warnung sein sollen!«
»Da ist noch was anderes. Ich kannte den Mann von Doris.«
»Ich denke, Doris hat ihn nie vorgestellt?«
»Hat sie auch nicht Aber ich war neugierig, verstehen Sie? Als sie uns von der Hochzeit schrieb, bin ich mal heimlich nach New York gefahren. Ich wollte sie überraschen. Sie wohnten im Gibson. Mr. und Mrs. Waterfield. Ich traute mich nicht ins Hotel und wartete draußen. Dann kamen sie. Doris und er.«
»Na und?«
»Er gefiel mir nicht. Er war ganz alt und sah grausam aus. Ich bekam Angst und lief weg. Zurück nach Hause. Ich habe Doris nie was davon gesagt.«
»Was ist für Sie ganz alt?«
»Damals mochte er fünfzig, fünfundfünfzig Jahre alt gewesen sein«
Na ja. Für ein sechzehnjähriges Mädchen konnte das schon ganz alt sein.
»Wie sah er weiter aus?«
»Dick und rot und wabbelig und…« Sie fuhr mit allgemeinen Beschreibungen fort. Sie waren wenig schmeichelhaft und trafen immerhin auf mindestens zweihunderttausend New Yorker zu. »Ich würde ihn wiedererkennen. Bestimmt. Deshalb wollte ich ins Blue Cat. Ich dachte, dort würde ich ihn sehen.«
»Vielleicht hat er Sie vorher bemerkt. Vom verdunkelten Zuschauerraum kann man nämlich besser jemanden sehen, der auf der Bühne steht. Meinen Sie nicht auch?«
»Sie haben recht. Was nun?«
»Vorläufig bleiben Sie hier. In dieser Sache gibt es schon genug Leute, die nicht mehr den Mund auf machen können. Ich kümmere mich mal um Ihr Bankkonto. Welche Nummer hat der Safe?«
»Eintausendneunhundert dreiundvierzig«, sagte sie. »Ich habe diese Nummer ausdrücklich verlangt. Es ist mein Geburtsjahr. Doris meinte, so ließen sich die Zahlen für uns beide besser merken.«
»Wo ist der Schlüssel?«
»In meiner Handtasche.«
»Und wo ist die Handtasche?«
»Bei meinen Sachen.«
»Und wo…?« Die Frage konnte ich mir sparen. Sie war in der Tüte eingeliefert worden.
Ich ließ mich mit der Krankenstation verbinden. Dr. Burton ließ es sich nicht nehmen, selbst zu kommen.
»Hat jemand daran gedacht, die Sachen von Miss Ashley kommen zu lassen?«, fragte ich.
»Wir sind doch hier beim FBI, wir denken!«, trompetete Dr. Burton. Eine Schwester schleppte die Sachen an.
»Ist das alles?«
»Alles«, antwortete sie pikiert. Krankenschwestern haben das an sich, wenn man an ihrer Unfehlbarkeit zweifelt. »Sehen Sie doch auf dem Begleitzettel nach.«
Die Handtasche war nicht dabei.
»Wie sah sie aus?«, fragte ich Karin.
»Nach fünfundsiebzig Dollar«, sagte sie. »Viereckig. Eierschalenfarben. Aus spanischem Stierleder. Unerhört schick.«
Ich machte, dass ich davon kam.
***
Und kam dennoch zu spät.
»Sie sind heute schon der zweite, Sir, der sich nach dem
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