0327 - Wer die Blutfrau lockt
betrachtet. Seine Gestalt alleine gab allen Anlaß dazu. Für das Auge eines unbefangenen Betrachters glich sie mehr der Larve eines Ungeheuers als dem Gesicht eines Menschen.
Ein seltsam verzerrtes Gesicht, das eine grüngraue Färbung angenommen hatte. Dazu wulstige Lippen, spitz zulaufende Ohren und riesige Augen, in denen rote Punkte glühten. Der Schädel war mit dünnen schlohweißen Haaren bedeckt. Die Finger glichen den Beinen einer Spinne und die Nägel am Ende waren lang und spitz wie die Krallen eines Leoparden. Niemand hatte Stanley Carter jemals anders gesehen als in einen langen, schwarzen Mantel mit hohem Kragen gehüllt.
Generationen hatten Carter so gesehen, wie er war. Er mußte schon ewig hier wohnen. Manchmal wurde gemunkelt, er sei unsterblich. Vielleicht war er einst jener Jack the Ripper gewesen, der auch ein schreckliches Aussehen gehabt haben sollte und von dem die Legende umging, daß er unsterblich sei.
Niemand ahnte, daß Stanley Carter ein Mensch war, der mit Satan selbst einen Pakt geschlossen hatte. Der Teufel verlieh ihm ständig neues Leben, wenn er ihm Opfer darbrachte. Und das hatte Carter in seinem ganzen Leben getan — seit mehr als 150 Jahren.
Irgendwann verspürte er den Ruf der Hölle. Dann ging er hinaus und folgte dem Weg, auf dem ihn sein Dämon leitete. Höllische Kräfte zeigten ihm den Mann oder die Frau, die Satan auserwählte. Er sprach sie an, und die hypnotische Kraft seiner Augen schlug die Menschen in ihren Bann. Sie konnten sich ihm nicht entziehen. Auch innerlich widerstrebend mußten sie ihm folgen. Er führte sie unter den Keller seines Hauses, das auf uralten Grundmauern errichtet war. Einst war hier das Gerichtsgebäude und die Torturkammer einer Vorortgemeinde von London in denen das gesprochen wurde, was man im finsteren Mittelalter als »Recht« bezeichnete. Stanley Carter hatte hier einen Altar zu Ehren des Teufels errichtet, auf denen er Satan die Opfer darbrachte.
Auch heute verspürte Stanley Carter wieder den Ruf des Dämons in sich. Und er zögerte nicht, diesem Ruf zu folgen. Sein Weg führte ihn in die besseren Gegenden von London.
Denn Satan wußte eine Frau, die den Keim des Bösen in sich trug und Hilfe herbeirief. Aber der Teufel wollte dafür sorgen, daß ihm das Opfer nicht entwischte. Marenia Melford mußte sterben, um dem Bösen zu verfallen.
Und Stanley Carter sollte sie als Opfer für die Hölle herrichten…
***
Marenia Melford war verzweifelt. Ausgerechnet jetzt ging ihr der Kaffee aus. Gerade in diesem Augenblick, wo sie richtigen »Heißhunger« auf Kaffee hatte. Das konnte auch nur ihr passieren. Sie durfte doch jetzt die Wohnung nicht verlassen.
Andererseits war unten zwei Häuser weiter ein kleiner Laden, wo sie schnell eine Packung kaufen konnte. Gar kein Problem und bestimmt nicht gefährlich. Was sollte schon passieren in der Zeit, wo sie dorthin ging. Sie mußte nicht mal eine Straße überqueren.
Marenia Melford sah auf die Uhr. Sie hatte sich per Telefon beim Flughafen erkundigt, wann die Maschine aus Lyon ankam. Das mußte eben in diesen Minuten sein. Aus Zamorras Büchern hatte sie herausgelesen, daß auch er einen guten Kaffee über alles zu schätzen wußte. Wie stand sie bloß da, wenn sie nicht mal eine Tasse anbieten konnte.
Dieser Gedanke ließ Marenia alles andere vergessen. Sie griff ihre Handtasche, vertauschte die Hausschuhe mit ihren eleganten Stiefeln und verließ die Wohnung. Niemand kam ihr entgegen, als sie das Treppenhaus hinunter ging. Marenia verließ das Haus und stellte fest, daß die Menschen auch heute wie zu allen Zeiten ihren Geschäften nachgingen. Niemand nahm von ihr Notiz. Auch nicht von den sichtbaren Bißnarben an ihrem Hals, die sie nicht verdeckt hatte. Die Menschen hatten anderes zu tun, als ihr trotz ihres attraktiven Aussehens ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Nur ein Paar rotglühender Augen starrten ihr nach…
***
»Diese ist es. Satan will sie als Opfer!« vernahm Stanley Carter die Stimme des Dämons in seinem Inneren. Der Teufelsdiener wußte nicht, daß die hochgewachsene, schlanke Frau mit dem blonden Haar, die gerade das Geschäft betrat, von einem Vampir gebissen war. Genau genommen wußte Carter nichts von dieser Art Blutsauger. Er diente seinem dunklen Herrscher in der Tiefe auf andere Art.
Langsam ging er auf das Geschäft zu und wartete, bis Marenia wieder auf die Straße trat. Dann schritt er schnell auf sie zu…
***
Marenia zuckte zusammen, als sie den
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