0330 - Der Seelenwächter
als er die Steine gegen seinen Chitinpanzer donnern hörte. Er wollte zurückweichen. Doch der Eingang zur Höhle war jetzt versperrt. Der Rückweg war abgeschnitten.
Zamorra erkannte, daß sich das ganze Bergmassiv herabneigte, um das Innere des Sordales unter sich zu begraben.
Er warf sich den halb ohnmächtigen Carsten Möbius über die Schultern und rannte los. Überleben konnten sie nur, wenn sie so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die herabstürzenden Steine brachten…
***
Sordales erkannte die Falle, in die er getappt war, zu spät. Er hatte sich von seinem inneren Jagdtrieb verleiten lassen und jede Vorsicht außer acht gelassen. Das rächte sich nun.
Als er begriff, was geschah, war der Rückweg bereits blockiert. Die Höhle, die er gerade verlassen hatte, war an dieser Stelle verschüttet.
Doch jetzt war das ganze Gefüge des Berges in Bewegung geraten und stürzte auf ihn herab. Er hörte, wie Felsen in der Größe von Schädeln oder auch in der Höhe von ausgewachsenen Menschen auf ihn herab stürzten.
Aber er spürte keinen Schmerz. Denn Sordales besaß absolut keine Gefühle. Wie er innerlich keine Freundschaft kannte und keinen Haß gegen Feinde verspürte, so ertastete sein Körper weder ein wohliges Streicheln noch einen schneidenden Schmerz. Sordales erkannte nur, daß er verschüttet wurde. Schon wuchsen die Felstrümmer um ihn herum, daß nur noch sein häßlicher Schädel darüber hinweg sah. Er konnte sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen.
Und jeder neue Brocken, der herabfiel, begrub Sordales tiefer. Niemand kannte die Spanne der Zeit, die der Wächter der Seelen brauchte, um sich hier zu befreien. Hundert Jahre? Tausend? Eine Million?
Die Scheol kennt keine Zeit.
Aber Sordales braucht weder Fraß noch Trank. Und seine Kräfte sind unbeschreiblich groß. Es gelingt ihm, irgendwann das Felsengefängnis zu verlassen.
Mit der Gallertmasse seines Körpers, der vor der Krypta Wache hält, in der die Mütter residieren, ist er in gedanklicher Verbindung, denn das Innere lebt weiter. Und darum ist auch für jeden Frevler, der die Scheol zu betreten wagt, weiterhin der Weg gesperrt.
Wage es niemand, der am Leben hängt und dem das Heil seiner Seele wert ist, diesenWeg zu betreten, der hinabführt in jeneWelt weit jenseits der Grenze des menschlichen Verstandes.
Sordales, der Wächter der Seelen, ist immer noch bereit…
***
»Der Transfunk. Diese Geräusche. Asmodis gibt uns ein Zeichen!« rief Carsten Möbius aufgeregt. »Er hat das Sendegerät noch bei sich. Jetzt finden wir ihn sicher!«
»Dann wollen wir uns beeilen!« gab Zamorra zurück. »Der Peilung nach kann er nicht weit weg sein. Hoffen wir, daß er die Seelen von Michael und Corinna schon gefunden hat. Ich bin froh, wenn wir von hier verschwinden können!«
Wie sie aber die Scheol verlassen konnten, darüber machte sich Zamorra hier und jetzt noch keine Gedanken…
***
Trotz der Umstände hatte Professor Zamorra »Glück«, daß sie Asmodis an der Seite von Michael Ullich und Corinna Bowers gefunden hatten.
Denn es war keine Kleinigkeit, sich durch ein Schlachtgetümmel zu schlagen, wo jeder gegen jeden kämpfte. Keiner schien mehr so recht zu wissen, wer Freund oder Feind war. Das Gebrüll des Paris, der versuchte, seine Getreuen gegen Michael Ullich zu hetzen, ging im allgemeinen Kampflärm unter.
Es war wie bei einer Dorfkirmes in Niederzwehren. Irgendwer hatte angefangen sich zu prügeln, und jetzt kloppte sich der ganze Saal.
Wer mal einen Jagdhieb abbekommen hatte und kurzfristig zu Boden ging, rappelte sich schnell wieder auf, um weiter zu machen. Man konnte ja was versäumen. Nur daß hier nicht die Kirmeskapelle »Rosamunde« einen zackigen Marsch dazu spielte, sondern Schwerter und Lanzen klirrten.
Die Seelen der Krieger aus den alten Tagen von Hellas, deren Lebensinhalt der Kampf war, verspürten weder den Schmerz der Verwundungen noch die Müdigkeit des Körpers.
»… eine ewige Schlacht!« erklärte Asmodis Zamorra die Situation, während die beiden ehemaligen Gegner mit erbeuteten Waffen sich gemeinsam ihrer Haut wehrten. Denn im Gegensatz zu Michael, Corinna und Uromis waren sie nicht unverwundbar. Und die Kräfte des Herakles schwanden aus den Menschenkörpern. Die Wirkung von Chirons Trank ließ allmählich nach.
»Wenn wir die Scheol verlassen, faßt du das Mädchen und Carsten seinen Freund!« befahl Asmodis. »Nur so kommen sie hier heraus!«
»Und wie verschwinden wir von
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