0334 - Der Hexenspiegel
Boris Saranow setzte sich schließlich durch. Zwei Einzel- und ein Doppelzimmer wurden angemietet, direkt nebeneinander gelegen. Natascha Solenkowa zog sich sofort zurück. Sie war noch nicht ganz über den Schreck hinweg, den der Unfall in ihr verursacht hatte. Sie wollte sich hinlegen und versuchen zu meditieren, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Saranow hatte da eine robustere Pferdenatur. Zusammen mit dem KGB-Mann trug er das Gepäck und auch den großen Spiegel nach oben.
»Das verflixte Ding kommt mir aber nicht in mein Zimmer«, protestierte Semjonow, als Saranow den Spiegel vor dessen Zimmertür kurz absetzte.
»Warum nicht? Sind Sie denn nicht eitel, Brüderchen Spion?« fragte Saranow milde.
»Bei Gelegenheit könnten Sie auch damit aufhören, mich ›Brüderchen Spion‹ zu nennen«, knurrte der KGB-Offizier. »Sie wissen doch, wie ich heiße.«
»Bei Gelegenheit werde ich versuchen, mich daran zu erinnern, Brüderchen Spion«, versicherte Saranow, hob den Spiegel wieder an und trug ihn in sein und Abramovs Zimmer. Er sah zu, wie Semjonow sorgfältig ein Zimmer nach dem anderen untersuchte und überprüfte und sich dann zurückzog.
Saranow warf sich auf das Bett und wartete auf Abramovs Eintreffen.
Er betrachtete den Spiegel. Wieder spürte er die unheimliche Ausstrahlung, die von ihm ausging. Er versuchte sich dagegen zu wappnen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die Unruhe blieb.
Am besten wäre es, das vermaledeite Ding aus dem Fenster zu werfen, kaputtzuschlagen, zu verbrennen… mit dem Glasschneider in schmale Stangen zu zerlegen… Aber das alles war keine Lösung. Gegen das Unbehagen konnte er ankämpfen, und der Forscher in ihm drängte danach, zu ergründen, was mit diesem Spiegel los war.
Nach einer Weile kam Abramov. Mißmutig schimpfte er vor sich hin und beschuldigte Ärzte, Polizisten, Autofahrer, Autokonstrukteure, Straßenbauer und schließlich die Regierung der Dummheit und Unfähigkeit.
»Das laß bloß den Genossen Semjonow nicht hören«, spöttelte Saranow.
»Vielleicht findet er für dich dann doch noch die Plätzchen in Sibirien, und ein anderer wird dafür begnadigt. In Sibirien soll’s übrigens noch echte Schamanen geben. Wäre das nichts für dein Forscherherz, Brüderchen Leonid?«
»Halt die Schnauze«, fauchte Abramov wütend. »Was soll dieses Mistding von Spiegel hier in unserem Zimmer?«
»Leider gibt es keinen anderen Platz«, sagte Saranow. »Wie du dich entsinnst, stehen Wagen und eingebauter Kofferraum irgendwo und warten auf die Abholung durchs Reparaturkommando.«
»Ich mag diese matte Fläche nicht sehen«, knurrte Abramov. Er trat ans Fenster und sah hinaus. Draußen wurde es dunkel, und die Fensterscheibe begann zu spiegeln. Abramov zwinkerte. Etwas an seinem Spiegelbild wollte ihm nicht gefallen.
Saranow erhob sich aus dem Sessel, in dem er gewartet hatte, ging zum Spiegel und lehnte ihn mit der Glasfläche an die Wand. »Jetzt dürfte die matte Fläche dich zwangsläufig nicht mehr stören können«, sagte er.
»Zufrieden?«
Abramov zuckte mit den Schultern.
Saranow ließ sich wieder in den Sessel fallen, der unter dem Gewicht des Hünen protestierend knackte.
Der Spiegel kippte um. Die Glasfläche zeigte zur Zimmerdecke.
»Ja, ist denn das… ?« murmelte Saranow. »Ich hatte ihn doch richtig angelehnt.«
»Bleib sitzen, Brüderchen Boris«, sagte Abramov, ging hin und stellte den Spiegel wieder aufrecht, kantete ihn noch schräger als zuvor und ging zufrieden wieder etwas zurück.
Der Spiegel kippte um und fiel ihm mit dem Rahmen auf die Zehen.
Abramov jaulte auf. »Nicht schon wieder«, schrie er erbost. »Jetzt hat mir der Arzt das Ding gerade wieder zurechtgebogen, jetzt knallt mir schon wieder was drauf!«
»Du solltest Spezialschuhe mit Stahlkappen tragen«, sagte Saranow.
»Aber das mit dem Spiegel ist schon seltsam.«
Er lehnte ihn wieder an die Wand und kantete den Sessel davor. Jetzt konnte der Spiegel beim besten Willen nicht mehr umkippen.
Er tat es trotzdem und schob dabei den schweren Sessel samt dem darin sitzenden Schwergewicht Boris Iljitsch Saranow durch das Zimmer.
Der dünne Teppich schlug Wellen.
»Beim Barte Rasputins«, fauchte Saranow. »Das ist doch unmöglich! Ich beschaffe mir gleich Werkzeug und schraube das Ding an der Wand fest.«
»Mit dem Erfolg, daß die Wand mit umfallen wird«, unkte Abramov.
»Laß das Ding doch einfach liegen. Oder schieb es unters Bett.«
Saranow schüttelte den Kopf. Bei all
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