0334 - Der Hexenspiegel
fallen zu lassen. Die Gedankenabschirmung zerbrach im gleichen Moment, als Zamorra gegen sie vorstieß.
Normalerweise besaßen sie beide eine Art geistiger Sperre, die verhinderte, daß ihre Gedanken gegen ihren Willen von anderen gelesen werden konnten. In den Auseinandersetzungen gegen dämonische Kreaturen war das schon oft genug von Vorteil gewesen. Aber diese Barriere, die automatisch einsetzte, ließ sich durch bewußte Kontrolle überwinden.
Zamorras geistige Fühler glitten in Nicoles Gedankenwelt, verschmolzen teilweise mit ihr und forschten nach ihrer Erinnerung. Er ging rückwärts.
Da war das Staunen, der Unglaube in Nicole, als Zamorra den Punkt erreichte, in dem er seine eigenen gesendeten Gedanken in ihr aufhallen spürte. Da war der Schreck, als sie ihn reglos auf dem Bett liegen sah. Da war die Verwunderung, als sie das Badetuch fand. Da war das seltsame Gefühl des Unbehagens, des Beobachtetwerdens aus dem Spiegel…
Der Spiegel.
Da war die Absicht, sich abzufrottieren, als der Strahl der Dusche erlosch.
Da waren spielerische, verträumte Gedanken, Gedanken der Liebe, eine Reflektion des gerade Erlebten… Zamorra brach ab, zog sich wieder in sich selbst zurück.
Beim Spiegel war ein Loch.
Nicole war zweimal aus dem Bad gekommen. An das erste Mal fehlte ihr die Erinnerung vollständig. Da waren nicht einmal Reste zu erkennen.
Etwas Fremdes, das sich selbst in Nicole nicht zu erkennen gab, hatte sie übernommen und gelenkt. Es hatte in Nicoles Körper Zamorra wehrlos gemacht und dann versucht, in seine Gedankenwelt einzudringen, um etwas über ihn zu erfahren, war aber an der geistigen Barriere gescheitert. Das hatte er gespürt.
»In diesem Spiegel lebt etwas Fremdartiges«, sagte er.
»Im Spiegel? Ja… da muß etwas gewesen sein. Ich fühlte mich unbehaglich, beobachtet… aber nicht nur in diesem Spiegel!« Sie sprang auf.
»Chérie, auch in Teds Krankenzimmer war etwas im Spiegel… aber ich kann nicht sagen, ob es dasselbe war. Ich glaube, es war irgendwie… anders…«
»Wir werden es erfahren«, sagte Zamorra. Entschlossen griff er nach dem Amulett, das auf dem Nachttischchen lag. »Mal sehen, wie der Spiegel hierauf reagiert.«
Und er aktivierte mit einem konzentrierten Geistesbefehl Merlins Stern.
***
Benommen raffte Boris Saranow sich wieder hoch. Er drehte sich und starrte Leonid Abramov an, der entgeistert auf seine Hände sah.
»Was… was…«, stammelte er.
»Mann, Brüderchen, hast du einen Schlag«, ächzte Boris. »Hoffentlich kannst du mir auch verraten, was das sollte!«
Abwehrend hob Abramov die Hände.
»Ich weiß nicht«, keuchte er. »Es muß dieser verdammte Spiegel sein. Er… er wehrt sich. Er will sein Geheimnis nicht preisgeben. Er… oder das, was in ihm steckt.«
»Wenn der Spiegel sich wehrt, warum mußt du es dann auch tun?« fragte Saranow grimmig. Er rieb sich den Nacken. »Hoffentlich hast du mir keinen Wirbel angeknackt. Mann, ich könnte dich… halt.«
Er verstummte und fixierte Abramov wie die Schlange das Kaninchen.
»Warum du, Brüderchen? Warum bin ich nicht betroffen? Dich erwischt es dauernd.«
»Dauernd?« wunderte sich Abramov. »Wieso? Es war doch das erste Mal und bleibt hoffentlich auch das letzte…«
Saranow seufzte.
»Du bist in Publikows Haus die Treppe hinuntergestolpert, weil dich anscheinend etwas am Fuß festhielt. Du bist im Auto verletzt worden, als dieser Kobiniakin uns rammte. Und du bist jetzt zum Werkzeug der fremden Macht geworden. Warum ausgerechnet du, Mann? Wir anderen haben uns doch auch in diesem matten Spiegelchen bewundert.«
»Vielleicht ich etwas mehr«, murmelte Abramov bestürzt. »Erinnerst du dich an meine Hand? Ich berührte die Spiegelfläche, und im Spiegel bildete sich eine andere Hand als meine. Vielleicht war es dieser intensivere Kontakt…«
»Da könntest du natürlich recht haben«, sagte Saranow ruhig. »Gut, gehen wir also davon aus. Das heißt, daß du ab sofort von jeder Arbeit an diesem Spiegel befreit bist. Du darfst nicht mehr in seine Nähe kommen. Ich werde Natascha herüberholen. Hoffentlich ist sie nicht schon eingeschlafen.«
»Sollen wir uns etwa die ganze Nacht um die Ohren schlagen?«
»Brüderchen Leonid«, sagte Saranow. »Ich habe das dumpfe Gefühl, daß dieser Spiegel sich anschickt, zu einer Gefahr für uns zu werden. Mir reicht’s, was wir inzwischen an Phänomenen erlebt haben. Ich traue dem Ding nicht über den Weg. Wir hätten es vielleicht doch in
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