0338 - Grauen in der Geisterstadt
Olaf Schädelbrecher erschlagen hatte…
Zamorra sah sich beunruhigt nach allen Seiten um. Er ahnte, daß die drei anderen nur deshalb noch nicht zum Angriff übergingen, weil sie sich wahrscheinlich ebenso wie Zamorra und Nicole erst neu orientieren muß ten. Denn diese Wirklichkeit stimmte nicht mit Zamorras Erinnerung überein. In dieser Form hatten sie sich alle niemals gegenübergestanden…
»Irgend jemand hat uns neu zusammengewürfelt«, sagte Nicole. »Wo stecken Leonardo und Churk?«
»Hoffentlich in der Hölle«, murmelte Zamorra. »Die beiden fehlen uns hier gerade noch…«
Im gleichen Moment ging der Skelett-Krieger zum Angriff über. Den Rundschild vorgestreckt und die Streitaxt erhoben, stürmte er mit einer Geschwindigkeit auf Zamorra und Nicole zu, die man seinem klapperigen Knochengerüst gar nicht zutraute.
Zugleich riß der Mongole den Colt aus dem Holster und Schoß.
Die Kugel schleuderte Zamorra gegen das Geländer des Gehsteiges. Mit den Knien schlug er gegen den Gehsteig selbst, mit dem Nacken gegen das Geländer, und dann wurde es vor seinen Augen schwarz.
***
In der Höllentiefe ging mit Wang Lee Chan eine Veränderung vor. Leonardos Leibwächter erstarrte mitten in der Bewegung. Leonardo, der sich gerade wieder auf seinem Thron niedergelassen hatte, um sich von versklavten Seelen mit Tanzspielen und Folterszenen ergötzen und ablenken zu lassen, registrierte es bestürzt.
Der Fürst der Finsternis machte eine Handbewegung und murmelte einen Zauberspruch. Unsichtbare Hände drehten Wang herum. Leonardo sah die leeren Augen des Mongolen.
Leer und geistlos. Es war, als sei alles, was den Leibwächter belebte, verschwunden. Wang Lee Chan war nur noch eine leere Hülle.
Sein Geist war in die Vergangenheit gezogen worden.
Zum ersten Mal, seit Leonardo vom Menschen zum Dämon geworden war und sich den Thron des Höllenfürsten angeeignet hatte, verspürte er Angst. Hundsgemeine, tückische Angst, die an seiner rabenschwarzen Seele zu fressen begann. Er wußte, daß in gewisser Weise auch er selbst von der Veränderung der Vergangenheit betroffen war. Er hatte das Bild gesehen, das Eysenbeiß ihm zeigte. Und er war sicher, daß er nur deshalb nicht zugleich mit Wangs Geist geschwunden war, weil er sich in jener Geisterstadt nicht wieder erkannt hatte. Er und Churk waren aus dem Geschehen hinaus geschleudert worden.
Aber alles war veränderlich.
Auch diese Tatsache. Sie konnten jederzeit wieder hineingezogen werden. Was aber würde dann geschehen?
Leonardo klatschte in die Hände. Einige Skelett-Krieger marschierten auf, schoben die versklavten verlorenen Seelen brutal beiseite, die hier auf ihre makabren Auftritte warteten. Leonardo gab seinen Skelett-Kriegern, von denen er über Unzählige verfügte, genaue Anweisungen.
»Schafft Wang fort. Bringt ihn in seine Gemächer, denn sein Zustand beunruhigt mich. Ich mag ihn nicht neben mir sehen, so leer wie er ist. Aber gebt mir Nachricht, sobald sich an ihm irgend etwas verändert. Und -geht hin zu Eysenbeiß. Sollte mit mir Ähnliches geschehen wie mit Wang, so tötet Eysenbeiß unverzüglich. Er darf keine Sekunde länger leben als ich, und seine Seele wird am heißesten Glutflecken der Hölle im Ewigen Feuer schmelzen.«
»Wir hören und gehorchen, Herr«, rasselten die Skelett-Krieger mit lockeren Unterkiefern. Zwei von ihnen faßten zu und trugen Wang Lee davon. Die anderen verschwanden in Richtung von Eysenbeißens Unterkunft…
Leonardo aber klatschte in die Hände. Die Sklavenseelen zuckten zusammen.
»Beginnt mit dem festlichen Spiel«, schrie der Fürst der Finsternis. »Bringt mir willkommene Ablenkung…«
Und das makabre, erschreckende Durcheinander begann…
***
Irgendwann und irgendwo zwischen Welten und Zeiten erwachte die Zeitlose aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit. Das geflügelte Einhorn war in ihrer Nähe, aber es konnte ihr nicht helfen.
Sie versuchte einen festen Punkt zu finden, aber der einzige feste Punkt war das Tier. Das blaue Dhyarra-Leuchten, das von ihr ausgegangen war, war längst erloschen. Ihre Haut war jetzt matt und fast grau.
Sie erinnerte sich: die fremde Kraft war mit der ihren kollidiert. Alles war gestört worden. Sie hatte das Schwert des Römers an sich gebracht, aber es war in ihrer Hand geschmolzen. Was sie nun wirklich bewirkt hatte, entzog sich ihrer Kenntnis.
Die Zeitlose wußte nur eines: Noch nie zuvor war ihr eine Aktion dermaßen gründlich mißlungen. Noch nie zuvor in ihrem
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