0339 - Walpurgisnacht
erwischt. Er ist fällig, dachte sie. Aus dem Fenster sah sie auf den Firmenparkplatz hinunter. Der silberne Mercedes raste mit halsbrecherischem Tempo vom Gelände und fädelte sich rücksichtslos in den Straßenverkehr ein.
Das war gestern abend nicht sein Wagen, erkannte Irena fast gleichmütig.
Er hat ein anderes Kennzeichen. Aber was soll’s? Wen auch immer er getroffen hat – was macht es schon aus?
Sie vertiefte sich wieder in ihre Arbeit.
***
Im Hotel »Seela« war die Nacht noch lang geworden; dementsprechend lange wurde geschlafen. Am Empfang trafen Zamorra und Nicole auf Stephan Möbius. Er machte einen mürrischen Eindruck.
»Wollt ihr schon wieder abreisen?«
»Wir hatten vor, uns ein gemütliches Restaurant zu suchen«, erklärte Nicole.
»Essen könnt ihr auch hier«, knurrte Möbius. »Wenn in diesem Kaff nicht alles so langweilig wäre… mein Schlüssel!«
Er wurde ihm gereicht. Er brauchte nicht einmal die Zimmernummer zu nennen – er wohnte inzwischen lange genug hier, daß man ihn kannte.
»Wie ist denn das Wetter draußen? So sonnig, wie es aussieht, oder hat man uns nur Bilder draußen vor die Fenster gehängt?« fragte Nicole an.
»Da, wo ich war, war es sonnig, aber lausig kalt. Ich brauche erst einmal einen kräftigen Schnaps zumWarmwerden«, sagte Möbius. »Da geht man los, um den Wagen zu holen, und kommt durchgefroren zurück. Die Heizung hat auch schon mal besser gearbeitet. Kommt ihr mit in die Bar?«
»Die hat doch noch gar nicht geöffnet.«
»Dann lasse ich mir den Schnaps eben ins Zimmer bringen.«
»Wir dachten eher, daß du vielleicht mit in die Stadt kommst«, sagte Zamorra. »Aber wenn du dich erst aufwärmen willst…«
»Keine Lust. Sieht man euch beide heute noch irgendwann?«
»Irgendwann – bestimmt«, sagte Zamorra. »Wir bleiben ja nicht lange unterwegs. Zwei Stunden vielleicht… danach könnten wir den Vertragsabschluß machen, und du kannst uns die Gegend zeigen. Ich habe da vorhin etwas aufgeschnappt von Walpurgis-Feiern. Mit Original-Hexenverbrennung und so. Weißt du etwas darüber?«
»Ja«, brummte Möbius und trollte sich ohne ein Grußwort in Richtung Restaurant und Bar. Nicole sah ihm kopfschüttelnd nach.
»Was ist denn in den gefahren? Der ist ja wie ausgewechselt! So aggressiv und lustlos haben wir ihn ja noch nie erlebt.«
»Vielleicht ist ihm etwas auf den Magen geschlagen. Unser Gelage heute nacht vielleicht… Wir dürfen nicht vergessen, daß er doppelt so alt ist wie wir. Da verkraftet man derartige Aktionen nicht mehr so leicht. Auch wenn man sich so fit hält wie er.«
»Trotzdem. Irgend etwas stimmt da nicht«, sagte Nicole. »Komm, lassen wir ihn erst mal in Ruhe.«
Sie traten durch die Glastür ins Freie. Der silbergraue Mercedes, F-M
1000, stand auf der kleinen Stellfläche, die eigentlich für An- und Abreisen reserviert war. Auf der anderen Straßenseite gab es immerhin einen riesigen Parkplatz für die motorisierten Hotelgäste.
Im Vorbeigehen streifte Zamorra den Möbiusschen Wagen mit der Hand. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Er glaubte eine Art elektrischen Schlag empfangen zu haben. Aber es war doch wiederum anders als bei Elektrizität.
»Was ist los?« fragte Nicole, weil er stehengeblieben war.
Zamorra legte die Handfläche auf das kühle Metall. Aber diesmal empfand er nichts. Schulterzuckend ging er weiter.
Auch das Amulett hatte sich nicht bemerkbar gemacht und widerlegte damit seinen aufkeimenden Verdacht, hier sei Magie im Spiel. Sie überquerten die Straße und fanden den gemieteten BMW 635 auf dem Parkplatz.
Nicole zwängte sich hinter das Lenkrad und brachte den Wagen schnell in die Innenstadt.
Sie dachte an den alten Eisenfresser. Konnte ein Mann in seinem Alter so rasch schwankenden Stimmungen unterliegen?
Er war auf keinen Fall mehr der Alte von einst…
***
Irena Vahlberg trat in Hoffachs Büro. Sie hatte etwas in den bei ihm aufbewahrten Unterlagen nachzuschlagen – einer mußte sich ja um die Arbeit kümmern, wenn der Chef nicht da war. Sie lächelte triumphierend, als sie an seinen überstürzten Aufbruch dachte. Aber es ging ihm noch gar nicht schlecht genug.
Er sollte leiden.
Auf seinem Schreibtisch fand sie den noch vollen Aschenbecher. Hoffach war sehr nervös gewesen und hatte viel geraucht. Plötzlich kam der Hexe eine Idee. Sie fischte eine leere Zigarettenschachtel aus dem Papierkorb, schüttete Asche und Zigarettenstummeln hinein und steckte diese Reste ein. Da ließ sich
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