034 - Der Hexer
Nachtzeit. Ich werde morgen zeitiger kommen.«
»Der Jemand ist doch nicht etwa Alan Wembury?« hörte sie Messer fragen. Mary legte den Hörer auf.
Sie stellte Wasser für den Tee auf und ging in ihr kleines Schlafzimmer, um abzulegen. Ein Luftzug entstand, hinter ihr schlug die Tür zu. Sie machte Licht und schloß beunruhigt das Fenster. Vor dem Verlassen der Wohnung hatte sie alle Fenster geschlossen, da es nach Regen aussah. Wer hatte das Schlafzimmerfenster geöffnet? Sie sah sich im Zimmer um, und es überrieselte sie kalt. Jemand war im Zimmer gewesen, eine Schublade vom Frisiertisch war aufgebrochen. Soweit sie sehen konnte, fehlte nichts. Dann fiel ihr der Kode ein. Sie fand ihn nicht - verschwunden! Der Kleiderschrank stand offen, ihre Kleider hingen nicht wie sonst. Auch die lange, untere Lade war durchsucht worden. Von wem? Sicher nicht von einem gewöhnlichen Einbrecher, nichts war gestohlen worden, nichts fehlte - außer dem Brief.
Sie ging zum Fenster zurück, öffnete es und schaute hinunter. Rechts lag der kleine Küchenbalkon mit dem Aufzug, über den die Bewohner die Waren von den Lieferanten in Empfang nehmen konnten. Der Aufzug befand sich zur Zeit unten, und sie konnte sehen, wie sich das lange Drahtseil im Wind bewegte. Ein geschickter Mann konnte mit einiger Anstrengung daran schon zum Balkon hinaufklettern. Aber wer würde Gefahr laufen, seinen Hals zu brechen, nur um ihre Habseligkeiten zu durchsuchen und Cora Anns Brief zu holen?
Mary holte in der Küche eine Taschenlampe, mit der sie die Wohnung genauer untersuchte. Jetzt erst fand sie die noch feuchten Fußabdrücke auf dem Teppich. An zwei Stellen waren die Schmutzspuren so deutlich zu sehen, daß sie sich wunderte, sie nicht gleich bemerkt zu haben.
Sie machte noch einige andere Entdeckungen. Der Frisiertisch war vollständig in Unordnung gebracht worden. Eine ihrer Kleiderbürsten fand sie auf dem Bettrand, offensichtlich war sie benutzt worden, denn sie fühlte sich feucht und sandig an. Der kaltblütige Eindringling hatte sich nicht nur mit einer oberflächlichen Toilette begnügt, sondern auch die Haarbürste benützt; in den weißen Borsten hing ein grobes, schwarzes Haar.
Es klingelte an der Wohnungstür. Als sie öffnete, stand der Hausmeister draußen.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie störe, Miss. Ist etwas mit der Wohnung nicht in Ordnung?«
»Kommen Sie, Jenkins! Darüber habe ich mich eben gewundert.« Sie führte ihn ins Zimmer.
»Ein Mann hat sich nämlich den ganzen Abend in der Gegend herumgetrieben«, erzählte der Hausmeister. »Ein Mann mit einem kleinen, schwarzen Bart. Ein Bewohner hat ihn kurz vor Dunkelwerden im Hof gesehen, wie er sich den Aufzug anschaute. Und die Frau nebenan sagte mir, daß er ungefähr zehn Minuten lang an Ihre Tür geklopft habe. Das war gegen acht Uhr, also bevor er im Hof gesehen wurde. Vermissen Sie etwas, Miss?«
Ein Mann mit einem Bart? Ein schwarzer Spitzbart - das kam ihr bekannt vor. Mary erinnerte sich plötzlich an die Unterhaltung mit Alan, er hatte ihr von Inspektor Bliss erzählt. Eine phantastische Idee!
Sie ging zum Telefon und verlangte die Flanders-Lane-Polizeiwache. Eine mürrische Stimme meldete sich. Nein, Mr. Wembury sei noch nicht zurück, man erwarte ihn aber jeden Augenblick. Sie nannte ihren Namen und die Telefonnummer und bat um Wemburys Anruf. Eine Stunde später läutete das Telefon, sie erkannte Alans Stimme. In wenigen Worten erzählte sie alles und vernahm seinen erstaunten Ausruf.
»Ich glaube nicht, daß es der war, an den Sie denken«, zweifelte er. »Ist es schon zu spät für mich, vorbeizukommen?«
»Nein, nein, bitte!« rief sie, ohne zu zögern.
Er traf unerwartet schnell ein.
»Ein Taxi!« erklärte er. »Es ist ja selten genug in Deptford, daß man eines erwischt, aber ich hatte Glück.«
Zum erstenmal seit Johnnys Festnahme betrat er die Wohnung. Mary führte ihn sofort in ihr Zimmer, um ihm die Spuren des mysteriösen Besuches zu zeigen.
»Bliss?« fragte er mit gerunzelter Stirn. »Warum sollte Bliss hier eindringen?«
»Das möchte ich auch wissen. Wenn es sich um den Brief handelte, hätte er kommen und danach fragen können.« Sie konnte wieder lächeln. Alan Wemburys Anwesenheit wirkte wunderbar beruhigend auf sie.
»Haben Sie etwas hier, das Messer gehört - irgendwelche Papiere?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Schlüssel?« fragte er weiter.
»Ja, natürlich. Ich habe die Schlüssel zum Haus. Seine alte Köchin
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