034 - Der Hexer
Maurice (er konnte es nicht leiden, wenn sie Messer beim Vornamen nannte) wollte Johnny auf einer Geflügelfarm neu anfangen lassen. Sie hatte Johnnys Gefängniszeit bis auf den Tag ausgerechnet.
»Drei Monate werden ihm jedes Jahr nachgelassen, wenn er sich gut hält«, frohlockte sie. »Johnny scheint auch sehr vernünftig zu sein. In dem Brief, den ich vor einigen Tagen erhielt, schreibt er, daß er sich nichts mehr zuschulden kommen lassen will.«
Alan zögerte, die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge lag, doch dann fragte er doch.
»Ja - er hat auch Sie erwähnt«, erwiderte sie froh. »Er empfindet keinen Groll gegen Sie. Ich glaube, wenn er herauskommt, wird er mehr auf Sie hören!«
Sie erzählte, daß sie viel zu tun habe, die Zeit vergehe ihr viel schneller, als sie gedacht hätte. Maurice sei sehr gut zu ihr (wie oft sie das schon wiederholt hatte!). Das Leben in Malpas Mansions verliefe ruhig, sie habe sogar eine Hausangestellte.
»Es ist ein seltsames kleines Geschöpf, das darauf besteht, mir alle Schreckensgeschichten von Deptford zu erzählen. Als ob ich nicht selbst genug Schrecken hätte! Ihr Lieblingsheld ist der Hexer - wissen Sie etwas über ihn?«
»Er ist der Held vieler Leute in Deptford. Der Gedanke, daß jemand die Polizei überlisten konnte, gefällt ihnen.«
»Er ist doch nicht etwa in England?« fragte sie. »Ich muß Ihnen etwas erzählen - ich habe seine Frau kennengelernt!«
Mit großen Augen starrte er sie ungläubig an.
»Cora Ann Milton?«
Mary mußte über den Eindruck, den ihre Worte auf ihn machten, lachen. Sie schilderte Cora Anns Besuch, erwähnte aber aus einem ihr selbst unklaren Grund nur einen Teil jenes Gesprächs. Sie deutete nicht einmal an, daß Cora Ann sie vor Messer gewarnt hatte. Als sie von dem Brief mit dem Geheimkode sprach, wurde er sehr lebhaft und bedrängte sie mit Fragen.
»Eben erst ist es mir wieder eingefallen!« entschuldigte sie sich reuevoll. »Er liegt bei mir in der Schublade, und ich hätte ihn ihr zurückschicken sollen ...«
»Ein Geheimkode - das ist sehr wichtig! Können Sie mir den Brief morgen bringen?«
Sie versprach es.
»Aber warum kam sie zu Ihnen? Sagten Sie nicht, daß es in der gleichen Nacht war, als Johnny festgenommen wurde?« forschte Alan. »Haben Sie Mrs. Milton seither wiedergesehen?«
»Nein.«
Sie gingen zusammen durch den Green-Park und aßen in einem kleinen Restaurant in Soho. Es war ein großer Tag in Alan Wemburys Leben. Er begleitete sie zur Straßenbahn, doch als er sie wegfahren sah, verschwand mit ihr auch ein Teil seiner Lebensfreude.
Messer hatte Mary gebeten, nach dem Essen nochmals bei ihm vorbeizukommen. Da sie es sich aber zum festen Prinzip gemacht, hatte, neun Uhr als die Zeitgrenze festzusetzen, bis zu der sie abends bei ihm arbeiten wollte, und es jetzt, als sie New Cross erreichte, schon später war, ging sie sofort nach Malpas Mansions.
Während sie noch die Tür aufschloß, klingelte das Telefon. Maurice hatte darauf bestanden, daß sie sich ein Telefon anschaffte. Sie knipste schnell das Licht an und eilte zu dem kleinen Tisch, auf dem der Apparat stand. Es war Messer, wie sie erwartet hatte.
»Mein liebes Kind, wo sind Sie gewesen?« fragte er mürrisch. »Ich habe seit acht Uhr auf Sie gewartet.«
Sie schaute auf die Armbanduhr. Es war gerade ein Viertel vor zehn.
»Es tut mir leid, Maurice - aber ich hatte Ihnen nicht versprochen, daß ich kommen würde.«
»Sind Sie im Theater oder sonstwo gewesen?« fragte er argwöhnisch. »Sie haben nichts darüber gesagt.«
»Nein, ich habe jemand besucht.«
»Einen Mann?«
Mary Lenley war ein geduldiges Wesen, aber seine eindringlichen Fragen erbitterten sie. Er mußte es erraten haben, denn bevor sie antworten konnte, fuhr er fort:
»Verzeihen Sie meine Neugier, liebe Mary, aber ich nehme doch sozusagen Vaterstelle bei Ihnen ein, solange der arme Johnny fort ist, und ich möchte wissen -«
»Ich war zum Essen eingeladen«, unterbrach sie ihn entschlossen. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unbequemlichkeiten bereitet habe, aber ich hatte Ihnen nichts versprochen.«
Es folgte eine Pause.
»Können Sie jetzt zu mir kommen?«
Ihr ›Nein‹ klang sehr bestimmt.
»Es ist viel zu spät, Maurice. Was sollte ich denn noch für Sie arbeiten?«
Wenn er sofort geantwortet hätte, wäre sie vielleicht unsicher geworden. Aber die Pause dauerte etwas zu lang.
»Beeidigte Aussagen!« spottete sie. »Das klingt sehr unsinnig um diese
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