034 - Die toten Augen
der Kasse und sprach mit einem Mann. Als er mich kommen hörte, drehte er sich um und verließ den Laden.
„Er will mich heiraten“, sagte Rose.
„Was?“
„Ja, er ist sehr reich.“
„Und was hast du geantwortet?“
„Ich habe nicht nein gesagt.“
Bei dem Gedanken, sie könnte diesen Kerl heiraten, sah ich rot. Gerade wollte ich wütend etwas zu Rose sagen. Da flüsterte sie mir zu: „Vorsicht, ein Kunde!“
Ich drehte mich um. Auf der Schwelle stand der Mann, der vorhin dauernd zu meinem Fenster hinaufgesehen hatte. Ich wurde noch wütender. Ich ging auf ihn zu und fragte: „Warum folgen Sie mir? Was wollen Sie von mir?“
„Sie sind Ferdinand C, nicht wahr?“
„Ja, und?“
„Graf B.“
„Oh“, sagte ich verblüfft.
Ich muß sehr verdutzt ausgesehen haben, denn der Fremde lächelte für den Bruchteil einer Sekunde. Ich verabschiedete mich schnell von Rose und verließ mit dem Grafen den Laden.
„Gehen wir ein Stückchen“, bat er, und dann liefen wir schweigend die Straße entlang. Ich wartete darauf, daß er etwas sagte. Als wir an einem Taxistand vorbeikamen, stieg er mit mir in einen Wagen. Als Fahrtziel gab er den Bahnhof an. Während der Fahrt sagte er plötzlich zu mir:
„Bevor ich mit Ihnen sprach, wollte ich mich vergewissern, wer und wie Sie sind. Ob Sie ein Gentleman sind. Deshalb wartete ich vor dem Haus. Ich erkannte Sie sofort, da Sie in Ihrem Brief die große Ähnlichkeit mit Ihrer Tante erwähnt haben.“
„Und wie ist die Prüfung ausgefallen?“ fragte ich spöttisch.
„Sehr gut.“
Das Mißtrauen des Grafen kam mir sehr merkwürdig vor. Schließlich hätte er sich doch schon aufgrund meines Briefes ein Bild von mir machen können.
Der Graf warf mir ab und zu einen Seitenblick zu. Seine Augen waren mir nicht sympathisch.
„Wie geht es der Gräfin?“ fragte ich.
„Nicht gut, leider. Sie liegt mit einer Augenkrankheit im Bett.“
„Das tut mir leid. Kann man ihr nicht helfen?“
„Ich glaube nicht. Wir waren schon in Frankreich zur Behandlung. Hier gibt es einen Spezialisten, und sobald sie wieder reisen kann, fahren wir noch einmal hierher. Aber ich befürchte, daß es keinen Sinn haben wird. Nun werden Sie auch verstehen, warum ich Ihren Brief gelesen habe. Ich mußte es tun, denn sie darf nicht lesen. Sie muß immer im Dunklen bleiben.“
Ich schüttelte stumm den Kopf. Und dann beschloß ich, den Grafen direkt zu fragen, wieso er extra nach Paris gekommen war. Ein Brief hätte schließlich auch genügt.
„Sind Sie gekommen, weil Sie mir etwas Bestimmtes zu sagen haben?“
„Ja. Steigen wir aus.“
Das Taxi hielt. Ich folgte dem Grafen bis zu seinem Hotel. In seinem Zimmer bat er mich, Platz zu nehmen.
„Sie haben mich gar nicht nach Frederick gefragt“, sagte er und zündete sich eine Zigarre an.
„Fred … Ihr Sohn? Wie geht es ihm?“
„Er ist tot.“
Und dann erzählte er mir eine lange Geschichte von einem sehr verwöhnten Jungen, der dann verkommen sei, sich in schlechter Gesellschaft herumgetrieben habe, und in Frankreich bei einer Schlägerei in einer Bar getötet wurde. Er habe dafür gesorgt, daß die Presse nicht über den Vorfall berichtete. Er machte mir klar, daß das in England sehr unangenehme Folgen für ihn hätte haben können. Der gute Ruf, ich verstünde doch? Dann sei er mit seiner Frau nach Hause zurückgekehrt, ohne jemanden vom Tod seines Sohnes zu unterrichten. Nun lebten sie seit einem Jahr wieder auf ihrem Schloß, und die Leute fingen an, sich zu wundern, weil sie kein Familienmitglied zu sehen bekamen.
Plötzlich zog er die Stirn in Falten und sah zur Seite.
„Fehlt Ihnen etwas?“ fragte ich.
„Nein. Ich kann nur Ihre Augen nicht sehen.“
„Meine Augen?“
„Ja, sie sind genau wie die meiner Frau, verstehen Sie? Ihr nützen sie aber jetzt nichts mehr … sie ist fast blind.“
„Ach“, sagte ich, halb erstaunt, halb mitleidig.
Und nun wußte ich nicht mehr, wo ich hinsehen sollte. Daß meine Augen ihn störten, irritierte mich. Immer unbehaglicher fühlte ich mich in der Gegenwart dieses seltsamen Grafen.
Dann fragte er mich plötzlich, ob ich mit ihm auf sein Schloß kommen wolle.
Ich war mit einem Schlag hellwach.
„Natürlich“, sagte ich. „Sehr gern. Es tut mir nur leid, daß Ihr Sohn verstorben ist und es Ihrer Frau so schlecht geht. Dadurch wird meine Freude natürlich getrübt.“
„Also, abgemacht.“
Er lehnte sich zurück und räusperte sich.
„Sie müssen verstehen, daß
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