0343 - Kampf um Lady X
immer.
Jawohl, er sang. Meiner Ansicht nach hatte er einen anderen Tonfall bekommen. Mir kam er vor, als würde er mich verhöhnen, und seine Töne im Blattwerk zu einer schaurigen Totenmelodie werden.
Dieses Grab beinhaltete eine besondere Leiche. Lady X hatte mit der Schwarzen Magie alles getrieben. Sie würde es auch weiterhin treiben, dessen war ich sicher.
Auch als Tote!
Ich merkte, daß sich hier etwas zusammenballte. Unsichtbar schwebten Geister in der Luft und erfüllten sie mit ihrem Singsang, wobei sie vielleicht den Wind als Alibi nahmen.
Ich merkte, daß ich innerhalb der normalen Welt eine andere, eine schreckliche erlebte.
Lady X war tot, aber ihr Geist mußte sich nach wie vor in der Nähe befinden. Bei meinem letzten Abenteuer hier hatte ich so etwas nicht bemerkt. Daß dem jetzt so war, konnte man bestimmt nicht als Zufall bezeichnen, da hatte bestimmt jemand durch starke, magische Kräfte mitgemischt.
Ich konnte mir auch vorstellen, wer es gewesen war. Boris Bogdanowich, der seine Königin unbedingt zurückhaben wollte.
Der Wind nahm an Stärke zu. Dabei hatte ich das Gefühl, als würde er flüsternde Worte sagen und diese, wie von Flügeln getragen, an meine Ohren bringen.
Wie auf einer Insel kam ich mir vor. Den Kopf hatte ich leicht erhoben und lauschte den geheimnisvollen Stimmen des Windes, wobei ich glaubte, eine Stimme besonders heraushören zu können.
Die Stimme einer Frau.
Die von Lady X!
Mir rann es kalt den Rücken hinab, als ich daran dachte. Lady X, die vor mir in grabkalter Erde lag, sollte es tatsächlich geschafft haben und mit mir sprechen?
Das wollte ich kaum glauben, schüttelte ein paarmal den Kopf und tastete nach meinem Kreuz, das noch unter dem Stoff verborgen hing. Ich fühlte die Wärme des Silbers.
Genau das gab mir gleichzeitig bekannt, daß die schwarzmagische Aura keine Einbildung von mir gewesen war. Sie existierte und umkreiste mich.
***
Der oder die Vampire mußten gut gearbeitet und schon alles vorbereitet haben. Heimlich, damit niemand etwas merkte, hatten sie sich dem Grab genähert und hier etwas aufgebaut, das mit dem Begriff magischer Zone umschrieben werden konnte.
So eine Zone mußte existieren, wenn jemand zurückgeholt werden sollte. Sie gehörte dazu, denn nur innerhalb dieser Kraftzone war es möglich, andere Fesseln abzulegen.
Ich dachte darüber nach, welche Fesseln wir Lady X mitgegeben hatten. Das war eigentlich nur das Kreuz gewesen. Es lag zu unserem Schutz auf ihrem Körper. Wer an den Leichnam heranwollte, mußte zuerst das Kreuz entfernen.
Und das konnte ein Vampir nicht schaffen. Das Kreuz war für den Blutsauger das gleiche wie das Wasser für das Feuer. Nein, da kam er nie und nimmer heran.
Die Stimmen blieben. Da flüsterte und raunte es geheimnisvoll aus allen vier Himmelsrichtungen. Ich vernahm die leisen Worte, die immer wieder gegen mich getragen wurden.
»John Sinclair!« zischelte es. »Lange habe ich auf dich gewartet. Jetzt freue ich mich, daß du gekommen bist!«
Kalt rann es meinen Rücken hinab. Wenn ich bisher noch Zweifel gehabt hatte, nun waren sie aus dem Weg geräumt worden. In der Tat hatte Lady X zu mir gesprochen.
Die tote Lady X!
Ich hielt den Atem an. Verdammt, sollte das denn ewig so weitergehen? Konnte ich denn vor keinem vernichteten Gegner Ruhe bekommen? Ich schluckte ein paarmal, weil ich nicht in der Lage war, eine Antwort zu geben. Mutterseelenallein stand ich auf der Weite des Friedhofs und versuchte, Zwiesprache mit einer Toten zu halten.
Wie konnte es möglich sein, daß ein Geist wie der der Scott sich mit mir in Verbindung setzte?
»Bist du sprachlos, John Sinclair?« Wieder war es der Wind, der die raunende Stimme an mich herantrug.
Ich gab keine Antwort und schaute in den Himmel. Dort oben hatten sich die Wolken verdichtet. Sie bildeten Berge, ganze Gebirgsketten, wie sie dort hin und her gewirbelt wurden, wobei ich das Gefühl hatte, daß die Stimme der Scott auch aus den Bergen zu mir dringen würde.
»Weshalb gibst du keine Antwort, John Sinclair? Hat es dir die Sprache verschlagen?«
»Du bist Lady X?« Ich sprach flüsternd gegen den Wind an, der die Worte von meinen Lippen wegtrug.
»Ja, ich bin es.«
»Aber man hat dich gepfählt. Ich war dabei. Marek, der Pfähler, hat dir den Pflock ins Herz gerammt, so wie es sich für einen Blutsauger, wie du es einer bist, gehört.«
»Das stimmt, Sinclair, stimmt alles. Nur darfst du eines nicht vergessen. Ein großer Beschützer
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