0343 - Kampf um Lady X
einer freien Fläche befand, konnte der Wind ungehindert über sie hinwegfahren. Er schnitt mir ins Gesicht, und die Kühle tat mir gut nach dem langen Bleischlaf.
Die Wege waren zwar feucht, aber nicht verschlammt. Einige hatte man mit kleinen Kieselsteinen bestreut. Hecken oder große Büsche wuchsen nicht. Ich konnte über die gesamte Anzahl der Gräber schauen und sah auch eine alte Frau gebeugt vor einem Grab stehen und mit einer kleinen Schaufel die Erde lockern.
Die Frau hatte meine Schritte gehört, kam langsam hoch und drehte sich um.
Unter ihrem dunklen Schleier sah ich das hellere Oval des Gesichts. Um ihr eine eventuelle Furcht zu nehmen, blieb ich stehen und hob grüßend die Hand, wobei ich noch lächelte.
Sie nickte zurück und sprach mich auf rumänisch an. »Ich habe dich schon mehrmals hier in Petrila gesehen. Du bist der Freund es alten Marek und der Mann aus dem fernen England.«
»Das stimmt.«
»Sei willkommen.«
Ein warmes Gefühl durchströmte mich. Über diese beiden Worte der alten Frau hatte ich mich sehr gefreut. Sie waren ehrlich gemeint, im Gegensatz zu dem, was man oft so gesagt bekommt.
Ein wenig verstand ich die Sprache der Rumänen, so hatte ich auch antworten können.
Ich wandte mich der linken Seite des Friedhofs zu. Dort lag der neuere Komplex mit den frischeren Gräbern. Hier hatten auch Marie Marek und der Bürgermeister Mirca ihre letzten Ruhestätten gefunden.
Erinnerungen an die beiden Beerdigungen überkamen mich, und mein Gesicht nahm einen harten Ausdruck an.
Ich blieb vor Maries Grab stehen. Es war schlicht. Die frischen Blumen, die aus einer schmalen Metallvase schauten, hatten ein wenig die Köpfe hängen gelassen. Am oberen Ende des Grabes wuchs ein Kreuz aus der Erde. Es bestand aus Stein. Die Einschlüsse darin glänzten metallisch. Es erinnerte mich an das Zeichen des Sieges. Das Gute siegte über das Böse, und das war gut so.
Während ich den Kopf senkte und ein kurzes Gebet sprach, wehte der Wind von den Hügeln her gegen meine Gestalt und drückte die Kleidung nach hinten.
Ich dachte an Marie Marek und daran, wie sehr sie von ihrem Mann geliebt worden war. Dann passierte das Schreckliche, und ausgerechnet ich hatte sie töten müssen.
Furchtbar.
Erst Minuten später ging ich weiter und besuchte das andere Grab. Unter dieser Erde lag ebenfalls ein aufrechter Mann, der, als er merkte, was in seinem Ort passierte, sich auf unsere Seite gestellt hatte. Jetzt war auch er tot, und sein Neffe Dragan würde vielleicht einmal die Arbeit des Onkels fortführen.
Als ich mich umschaute, stellte ich fest, daß ich allein auf dem Friedhof stand. Die alte Frau hatte ihn verlassen. Sie lief dem Dorfrand zu. Ich sah sie zwischen den ersten Häusern verschwinden.
Auch für den Bürgermeister sprach ich ein kurzes Gebet, danach verließ ich den Totenacker an der oberen Seite, wo sich ebenfalls ein kleines Tor befand, das das um den Friedhof laufende Gitter unterbrach.
Das Grab der Lady X.
Es fiel mir wieder ein. Ich wußte noch, wo man ihren Leichnam verscharrt hatte, denn einen anderen Ausdruck konnte man dafür nicht benutzen. Weiter oben am Hang, wo erste Bäume standen und ihre Äste wie knorrige Arme ausbreiteten.
Ich ging hin.
Mir war nicht wohl, denn ich dachte daran, was sie alles auf dem Kerbholz gehabt hatte. Erste Blätter fielen von den Zweigen. Der Wind wehte sie mir entgegen, und sie blieben manchmal an meiner Kleidung kleben.
Ich kümmerte mich nicht darum, ging weiter und erreichte die Grabstätte.
Kein Kreuz schaute aus dem Boden, keine Blume leuchtete, es gab keine Umrandung, die das Grab eingefriedet hätte. Daß es dennoch zu erkennen war, lag allein an dem etwas eingesackten Boden. Das Erdreich war nachgefallen.
Ich stand vor dem Grab.
Hier durfte und konnte ich kein Gebet sprechen. Es wäre einer Blasphemie gleichgekommen.
Vögel stießen sich von den Ästen ab und stachen in die klare Herbstluft. Ihr Krächzen wehte mir entgegen und kam mir vor wie ein Totengruß an Lady X.
Sie war nicht zu Staub verfallen!
Und genau dieser Umstand gab mir zu denken. »Nicht zu Staub verfallen«, flüsterte ich rauh gegen den heranwehenden Wind. »Das kann bedeuten, daß ihr Leichnam, wenn er aus der Erde geholt und durch Voodoo magisch beeinflußt werden würde, als Zombie weiterlebte.«
Schrecklicheres konnte mir nicht passieren. Ich schwor mir in diesen Augenblicken, alles daranzusetzen, daß so etwas nicht geschah.
Der Wind sang noch
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