0353 - Die Vampirkutsche
einmal Mitternacht.«
»Geschwätz!« brüllte der Vampir. »Eile Er, oder Wir machen ihm Beine! Denke Er nicht, Er sei unersetzlich! Wir finden täglich hundert seiner Art, die uns willig und besser dienen würden!«
Er hatte den Kerker bereits verlassen. Als er losbrüllte, zuckte der Verhutzelte zusammen und überschlug sich dann förmlich, dem Willen seines Herrn zu gehorchen. Wie ein Wirbelwind jagte er die staubigen Treppen hinauf, um die Pferde vor die Kutsche zu spannen.
Der Vampir grinste bösartig, klopfte sich den hochgewirbelten Staub von seiner schwarzen Kleidung und folgte, wie es sich für einen Vampir in seiner adligen Position gehörte, gemessenen Schrittes nach oben. Dort bestieg er die Kutsche, ließ sich die Peitsche reichen und lenkte das Gespann durch das Tor nach draußen in den Wald.
Vor ihm wichen die Bäume und gaben eine Schneise frei, die zu einem schmalen, holperigen Waldweg führten. Hinter der Kutsche schloß sich die Öffnung im Wald wieder. Schon stand da wieder Baum an Baum, und die Kutsche hinterließ im Boden keine Spuren. Sie schien lautlos zu schweben.
Der Vampir war unterwegs, um sein sechstes Opfer zu holen.
Aber einige Gedanken um die vermeintliche oder tatsächliche Beobachtung seines Knechtes machte er sich nun doch…
***
Wenzel Precik und Ilka Szarasz, beide achtzehn Jahre jung, genossen die Nacht. Wenzel war gekommen, um Ilka zu einem Spaziergang unter dem Sternenhimmel einzuladen, und das Mädchen konnte einfach nicht nein sagen, wenn Wenzel sie um etwas bat. Es war ihr zwar völlig klar, daß ihr Vater sie windelweich schlagen würde, wenn er herausfand, daß sie spätabends noch außer Haus unterwegs war, und noch dazu mit einem jungen Burschen. Aber das war ihr egal. Sie genoß jede Sekunde, die sie mit Wenzel zusammen sein konnte, denn sie hatte sich unsterblich in ihn verliebt. Und Vater würde schon nichts merken. Sie hatte ihm eine gute Nacht gewünscht, war in ihr Zimmer gegangen und hatte so getan, als ginge sie zu Bett.
Durchs Fenster war sie dann in die Nacht hinaus entwichen, wo Wenzel sie erwartete.
Im Dorf selbst konnten sie natürlich nicht bleiben. Da bestand zu leicht die Gefahr, daß einer der Spätheimkehrer aus der Schänke über sie stolperte. Eine Freundin hatte es Ilka einmal erzählt. Sie hatten sich eigens in einem Garten zwischen den Sträuchern verborgen, um nicht gefunden zu werden, ganz am Ende des Grundstückes. Aber wie der Zufall es wollte, hatte ein Zecher seinen Weg nicht mehr gefunden, war außen um die Gärten herum gegangen, um an seinem Haus den Hintereingang zu suchen, und war förmlich über das Pärchen gestolpert.
Natürlich hatte er sofort Zeter und Mordio geschrien in seinem vom Alkohol vernebelten Zustand, und die Freundin war erwischt worden. Seit dieser Erzählung mied Ilka bei ihren nächtlichen Ausflügen die Nähe des Dorfes.
Bis in den Wald würden sich die Kneipengänger wohl nicht verirren.
Arm in Arm mit Wenzel strebte sie über einen schmalen Trampelpfad dem Waldrand zu. Rechts und links des Pfades standen kleine Holzstapel. An einem blieb Wenzel stehen.
Er umarmte und küßte sie.
Ilka glaubte in einem wunderschönen Traum zu versinken. Wie aus weiter Ferne hörte sie Wenzel raunen: »Laß uns eine Weile hier bleiben…«
Es war ihr egal, wenn sie nur in seiner Nähe war. Sie fragte sich, wie sie es überstanden hatte, daß sie ihn einen ganzen unendlich langen Tag nicht gesehen hatte. Aber jetzt waren sie wieder beisammen, und sie schmiegte sich eng an Wenzel und genoß seine Zärtlichkeiten.
»Die Elena ist verschwunden«, sagte er plötzlich.
Die Bemerkung zerstörte die Stimmung radikal, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. Ilka versuchte sie zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht. Immerhin war sie mit Elena befreundet gewesen. Sie hatten gemeinsam die Schule besucht und auch später einiges miteinander unternommen.
»Wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf?« fragte sie verärgert, während ihr langsam dämmerte, was Wenzel da überhaupt gesagt hatte: Verschwunden!
»Ich mußte an deinen Vater denken und an Elenas Vater, der genauso streng ist. Er ist außer sich, hat geschworen, dem Kerl alle Knochen einzeln zu brechen, der ihm die Elena entführt hat.«
»Hm«, machte Ilka. Ihr fiel auf, daß sie Elena tatsächlich heute nicht gesehen hatte. Aber sie hatte sich dabei keine Gedanken gemacht. Ihr derzeitiges Interesse galt ausschließlich Wenzel, und es kam schon mal vor, daß die
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