0356 - Die Tarot-Hexe
machen.
Dann sah er, als er oben auf der Treppe im Dunkeln stand und mit seinen magischen Sinnen die Eingangshalle abtastete, wer die Frau war, die geschrien hatte.
Beziehungsweise, deren gedanklichen Schrei er wahrgenommen hatte, denn kein Laut war erklungen.
Es war die Blonde mit der neutralen Magie, von der er sich einiges erhoffte. Und jener, der sie gerade bewußtlos geschlagen hatte, war Raffael Bois.
Immer noch griff Sid Amos nicht ein. Er war gespannt, was sich aus dieser Situation entwickelte.
***
Dr. Graque lenkte den Audi hinter dem Peugeot her. Um nicht als Verfolger und Beobachter erkannt zu werden, verzichtete er darauf, die Scheinwerfer einzuschalten. Wahrscheinlich lag es daran, daß die Straße höchstens halb so breit war wie am späten Nachmittag und der Wagen mehrmals fast Zäune und Hecken niedergewalzt hätte oder im Graben gelandet wäre. Immer wieder konnte Graque den Wagen gerade noch im letzten Moment abfangen und wieder auf die Straße zurücklenken.
Zuweilen wurde die Fahrbahn auch ebenso undeutlich wie das Lenkrad.
Aber das konnte Graque nicht sonderlich stören. Er dachte an Zamorra, den ihm auflauernden Bois und… vielleicht bekam er so in dieser Nacht die Chance, einen Brandstifter zu entlarven. Vielleicht hatte er ja diesem Zamorra Unrecht getan…
Er fuhr langsam und hatte den Peugeot schon längst aus den Augen verloren, in den Zamorra seltsamerweise gestiegen war. Aber das war ihm auch ganz recht so. Er wußte ja, wo das Ziel war. Und es gab nur diesen Weg, der nach oben führte.
Langsam wurde Graque wieder klarer, während er den Wagen mehr schlecht als recht über die Serpentinenstraße lenkte. Er begriff immerhin, daß es vielleicht vorteilhaft war, nicht in den Burghof hineinzufahren.
Immerhin wollte er heimlich beobachten und jemanden entlarven, nicht aber selbst gesehen werden. Außerdem konnte es sein, daß das Tor zu schmal geworden war.
Er verspürte Durst. Jetzt noch ein frisch gezapftes Bierchen, das wäre der Idealzustand. Aber man kann nicht alles haben. Auch nicht, daß die Straße nicht geradeaus weitergebaut worden war, obwohl das relativ einfach zu machen gewesen wäre, statt diese widerwärtig enge Serpentinenkehre zu konstruieren. Graque war so sehr in die Wunschvorstellung des gut gezapften Bieres vertieft, daß er erst gar nicht begriff, warum denn jetzt schon wieder so eine scharfe Kurve kam.
Als er sie bemerkte, war er schon geradeaus weitergefahren.
Das ging natürlich nicht auf unbegrenzte Entfernung. Perfiderweise hatten die Leute, die diese Straße gebaut hatten, neben dem Fahrbahnrand einen schmalen, aber deutlichen tiefen Graben angelegt. Der Audi sackte mit, den Vorderrädern hinein, setzte mit dem Fahrzeugboden auf und ließ sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Graque wurde vorwärtsgeschleudert, als der Wagen ruckartig zum Stehen kam, und wurde vom Sicherheitsgurt gestoppt.
»Au, verflixt…«
Das gab bestimmt einen fürchterlichen blauen Flecken, eine Quetschung, die sich schräg über seinen Oberkörper zog. Wie sollte er das Lucille klarmachen, wenn er morgen wieder in Paris war und wie jeden Mittwochabend seine Frau mit Lucille betrog?
Und warum wollte der Wagen denn jetzt weder rückwärts noch vorwärts fahren?
Die Ernüchterung setzte ein. Graque erkannte, daß er den Audi in den Graben gesetzt hatte. Von einem Moment zum anderen wurde er wieder halbwegs klar. Er löste den Gurt und stieg aus, um sich die Bescherung anzusehen.
Seine Rippen schmerzten von dem Druck des Gurtes.
DerWagen saß hoffnungslos fest. Der konnte nur wieder auf die Straße gezogen werden. Aus eigener Kraft kam er nicht frei. Außerdem mußte die Vorderpartie einiges abbekommen haben, als sie gegen die andere Grabenböschung stieß.
Dr. Graque kratzte sich hilflos am Kopf. Das wurde eine teure Sache, begriff er. Den Firmenwagen reparieren zu lassen – das ließ sich nicht unauffällig bewerkstelligen. Er konnte sich höchstens darauf hinausreden, daß er von einem anderen Wagen abgedrängt worden war.
Natürlich auf einer selten befahrenen Privatstraße zu einem Gemäuer, an dem er eigentlich spät nachts nichts mehr zu suchen hatte, weil er ohnehin bei Dunkelheit keine Untersuchungen mehr durchführen konnte!
»Au backe…«
Wenn sie dann unten den Wirt befragten, war er seinen Führerschein los. Und dann war auch seine Karriere in der Firma beendet. Sie würden ihm schneller einen Satz Flügel verpassen, als er um Hilfe schreien konnte.
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