0356 - Die Tarot-Hexe
Betrunken im Dienstwagen, und den noch dazu beschädigen… das paßte nicht zu einem leitenden Angestellten der Versicherungsgesellschaft.
Er mußte sich irgendwie aus der Affäre ziehen. Aber wie?
An den eigentlichen Zweck seiner Fahrt dachte er in diesem Moment schon gar nicht mehr.
***
André Vaultier betrat die Schänke. Nachdem Pascal Lafitte mit dem Verletzten in Richtung Feurs verschwunden war, hatte er erst einmal in seinem Wohnzimmerbüro ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Das ging relativ schnell, trotz der ungeheuren Bedeutung, die die Schießerei für das Dorf und Vaultier selbst hatte. Nun würde man in Feurs nicht mehr mit dem Rotstift kommen und sagen können, die ständige Präsenz eines Gendarmen in diesem kleinen Ort sei erstens nicht erforderlich und zweitens zu teuer für den Steuerzahler, und er solle seinen Dienst doch künftig in Feurs verrichten und nur im Falle eines Alarms zum Einsatz kommen.
Er würde ihnen schon klarmachen, daß nur durch seine Anwesenheit das Schlimmste verhütet worden war. Es hätte ja schließlich ein Mord geschehen können.
Zufrieden mit sich und der Welt steuerte Vaultier die Theke an. Auf den gelungenen und aufregenden Abend wollte er noch ein Schöppchen vom Roten trinken. Madame Mostache würde bestimmt so freundlich sein und…
Aber nicht Madame, sondern Monsieur stand nach wie vor hinter der Theke und wischte mit einem weißen Tuch Gläser trocken.
»Nanu, Pierre, ich denke, ich hätte eben deinen Wagen davonfahren sehen. Hast du deine Frau ’rausgeschmissen?«
»Warum sollte ich? Trinkst du rot oder weiß?«
Sie kannten sich. Wieviel Vaultier zu trinken beabsichtigte, war Gesetz.
Nur die Sorte wechselte bisweilen. Manchmal ließ sich der Dorfpolizist auch zu einem Klaren oder einem Bier überreden. In der Regel blieb er aber beim Wein.
»Rot. – Oder hat dir einer die Kiste geklaut? Wenn es schon Mörder hier gibt, die wahllos auf arglose Professoren und Versicherungsleute schießen, dann kann es ja auch sein, daß es Autodiebe gibt.«
»Warum sollte es sie bei uns geben?« fragte Mostache gelassen. Er schenkte ein. »Die Lösung des neuerlichen nächtlichen Kriminalfalles ist äußerst einfach und wird dir nicht einmal einen Viertelbeförderungspunkt einbringen: Ich hab’ den Wagen an Zamorra verliehen. Er und Duval wollten noch mal zum Château hinauf.«
»Wozu das?«
»Mörder fangen«, sagte der Wirt. Er sah sich um. »Moment mal, der Versicherungsfritze ist ja auch weg… hab’ ich gar nicht richtig gemerkt.«
»Fängt der auch Mörder? Das ist doch immerhin meine Aufgabe als Gesetzeshüter«, sagte Vaultier energisch, machte aber keine Anstalten, Zamorra das Mörderfangen abzunehmen und ihm nachzufahren. Immerhin konnte es sein, daß der Killer gefährlich war. Daß er sofort schoß.
Hatte er ja schließlich schon einmal getan. Und André Vaultier war nicht unbedingt darauf bedacht, sich zu opfern, damit dem Gesetz Geltung verschafft wurde.
Er trank lieber seinen Roten. Und der schmeckte heute wieder mal prachtvoll.
Nach dem zweiten Schluck stutzte er. »Sag mal, ist der etwa gefahren?«
»Wieso, André?«
»Weil draußen nur noch ein Wagen steht! Aber wenn Zamorra mit deinem los ist, muß dieser… wie hieß er noch?«
»Doktor Graque…«
»… dieser Doktor Graque dann mit seinem Wagen unterwegs sein. Aber der hatte doch schon ganz schön getankt, oder?«
»Wie ’ne Talsperre, André«, schmunzelte Pierre Mostache zufrieden, weil es in seiner Kasse heute so schön klingelte.
Den dritten Schluck nahm Vaultier nicht mehr. Wenn er etwas nicht mochte, waren das Autofahrer, die mit Alkohol im Blut fuhren. Er schob das Glas zurück.
»Heb’s mir auf, Pierre… aber mach einen Deckel drauf, damit der Alkohol nicht verfliegt…«
»Wo willst du denn jetzt hin?« wollte Pierre verblüfft wissen und starrte das Glas ratlos an. Wie sollte er da einen Deckel drauftun?
»Nimm’n Bierdeckel, Mann«, empfahl Vaultier, »und leg einen Franc als Gewicht drauf. Ich kaufe mir diesen Doktor Graque. Der ist doch nicht mehr fahrtüchtig…«
»Wahrscheinlich ist er zum Château rauf, wie Zamorra«, rief Mostache ihm nach. Wo sollte der Versicherungsangestellte auch sonst hin? Ein nächtliches Bad in der Loire wollte er bestimmt nicht nehmen.
Au weia, dachte Mostache. Das wird eine Nacht heute… wie schon lange nicht mehr! Hoffentlich seh’ ich meinen Wagen heil wieder…
***
Raffael Bois war maßlos überrascht gewesen, als er
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