0356 - Die Tarot-Hexe
Jahrzehnten schon als Autogarage fungierten. Das war schon so gewesen, bevor Zamorra das Château erbte.
Irgendwie mußte er es schaffen, dorthin zu gelangen und Raffael zu entwaffnen. Und dann mußte er sich um Nicole kümmern!
Na gut, dachte er. Wenn schon der erste Kratzer im Lack ist, kann auch der zweite dazukommen! Er sprang hoch, riß die Wagentür auf und warf sich hinters Lenkrad. Tür zu, Zündung an, Start. Der Motor sprang an.
Daß der Wagen mit der Front zum Tor stand, war eine Sicherheitsmaßnahme gewesen, die sich jetzt als Schuß in den Ofen entpuppte. Aber immerhin hatte der Wagen einen Rückwärtsgang. Der glitt fast von allein hinein, und der Peugeot machte einen Satz nach hinten, raste mit kreischenden Reifen und heulendem Motor auf die Stallungen zu.
Wieder knallte es. Die Heckscheibe platzte auseinander. Eine Bleihummel sirrte bösartig an Zamorra vorbei und schlug auch noch durch die Frontscheibe. Der Professor duckte sich. Weder vorn noch hinten konnte er jetzt noch etwas sehen. Rund um die Einschußlöcher waren die Scheiben zu einem engmaschigen Spinnennetzmuster geworden, das keinen Durchblick mehr zuließ.
Zamorra glaubte an den Stallungen zu sein und trat auf die Bremse. Es war zu spät. Die Mauerkante bremste den Wagen ruckartig ab. Zamorra ließ sich aus der Tür nach draußen fallen und schnellte sich sofort wieder hoch. Jeden Moment erwartete er, von einer weiteren Kugel getroffen zu werden.
Dagegen half auch kein magischer Abwehrschirm, den das Amulett unter Umständen hätte erzeugen können.
Aber der Schütze feuerte nicht mehr. Statt dessen sah Zamorra ihn aufspringen und davonhetzen. Etwas segelte durch die Luft. Zamorra fing es in einer Reflexbewegung auf. Es handelte sich um eine großkalibrige Pistole.
Zamorra hatte sie am Lauf erwischt und warf sie gezielt zurück. Was der Schütze konnte, konnte er auch, nur treffsicherer. Der Flüchtende stolperte und fing seinen Sturz mit den Händen ab. Als Zamorra ihn erreichte, federte er schon wieder hoch. Seine Fäuste flogen heran. Zamorra duckte sich ab. Er sah im Mondlicht Raffaels haßerfülltes Gesicht.
Raffaels Fäuste durchbrachen Zamorras Deckung. Er wurde zurückgeschleudert und strauchelte. Raffael schnellte sich wie ein Raubtier auf ihn. Zamorra fing ihn mit einer Judokombination ab und schleuderte ihn über sich hinweg. Als er wieder hochfederte, um Raffael anzugreifen, war der alte Mann mit einer geradezu wahnwitzigen Geschwindigkeit wieder auf den Beinen und rannte über den Innenhof.
Über die Zugbrücke rumpelte ein knatterndes Mofa. Der Lichtkegel des Scheinwerfers erfaßte Raffael, der irritiert stehenblieb.
»Halt! Polizei! Keiner rührt sich!« schrie André Vaultier.
Unwillkürlich erstarrte Raffael zur Salzsäule.
Zamorra hielt sich nicht an die Aufforderung. Mochte sich der Gendarm um den jetzt waffenlosen Raffael kümmern. Er selbst spurtete auf den Eingang zu, die Marmorstufen hinauf. Er mußte wissen, was Nicole zugestoßen war und warum es nun schon wieder brannte…
***
Sid Amos begnügte sich auch mit dem Beobachten und Registrieren, als Nicole Duval eintrat. Er sah, wie sie die Blonde entdeckte, niederkniete – und wie Raffael ihr die Pistole an den Kopf warf und Augenblicke später das Feuer aufflammte. Raffael lief zu Nicole hinüber, nahm die Pistole wieder an sich und huschte zur Tür. Er orientierte sich kurz. Plötzlich sprang er nach draußen und schoß gleichzeitig.
Er hat Zamorra entdeckt, registrierte Sid Amos fast gleichmütig und wußte, daß der sich selbst helfen konnte. Das Feuer fraß sich inzwischen über den Teppich weiter und drohte auch die beiden Frauen zu erfassen.
Amos verließ die Treppe und eilte nach unten. Er rief die Erinnerung an Löschzauber ab. Da war das SATOR-Palindrom, das nicht nur Hexen aufzuspüren vermochte, sondern, auf ein Holztäfelchen geschrieben und in den Brand geworfen, diesen löschen konnte. Aber Amos hatte kein Holztäfelchen zur Hand. Also mußte er es mit dem Machtwort »Agla« versuchen.
In der Hast fehlte es ihm allerdings an Konzentrationsfähigkeit. So konnte er die Flammen nur eindämmen und von Nicole und der Blonden fernhalten. Mit beiden Händen faßte er zu und zog sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Mit seinen magischen Sinnen tastete er nach Zamorra. Der war draußen noch beschäftigt. Amos öffnete die Umhängetasche der Blonden und fand einen Paß. Daraus ging außer ihrem Namen nicht viel von Interesse für Amos hervor
Weitere Kostenlose Bücher