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0359 - Meine Henkersmahlzeit

0359 - Meine Henkersmahlzeit

Titel: 0359 - Meine Henkersmahlzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Querstraßen weiter.
    Als wir vor dem alten Haus mit den runden Vorbauten standen und an der mit Efeu überrankten Fassade hochschauten, zog mein Vater ein bedenkliches Gesicht.
    Ich bemerkte es und fragte: »Was hast du?«
    »Im Prinzip nichts. Nur fällt mir gerade ein, daß ich die Andersons lange Zeit nicht gesehen habe.«
    »Kennst du denn die Frau?«
    Er lachte. »Damals war sie noch sehr jung. Die beiden hatten noch nicht geheiratet.«
    »Das wird sich ja bald ändern«, erwiderte ich und durchquerte alserster den Vorgarten, auf dem die Blumenbeete mit Torf und Tannenzweigen zum Schutz gegen die winterliche Kälte abgedeckt worden waren.
    Mein Vater lachte hinter mir her. »Deine Antwort war gut. Mal sehen, ob sie deinem Ratschlag folgen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ob sie dann heiraten?«
    Ich schüttelte den Kopf, schaute mir die Tür und das Klingelbrett daneben an. In dem Haus wohnten sechs Familien. Die Andersons lebten in der ersten Etage.
    Ich schellte. Jetzt hoffte ich nur, daß sie über den Jahreswechsel nicht verreist waren, aber ich hatte Glück. Die Tür wurde geöffnet, und ich konnte einen muffig riechenden Hausflur betreten, in dem eine große Treppe nach oben führte.
    Zwei Kinder polterten die Stufen herab. Sie liefen so schnell, daß sie mich fast noch von den Beinen geholt hätten. Lärmend tobten sie an mir vorbei.
    Eine Frau erwartete uns an der offenen Wohnungstür. Sie trug ein schwarzes Kleid und trug die Haare streng nach hinten gekämmt.
    Die Arme hingen wie Pendel rechts und links des Körpers nach unten. So als würden sie überhaupt nicht zu ihr gehören. Erst beim Näherkommen sah ich die schmale Brille mit dem dünnen Rand.
    Irgendwie brachten mein Vater und ich es beide nicht fertig, ihr ein frohes neues Jahr zu wünschen, statt dessen begrüßten wir sie mit der Tageszeit.
    Sie nickte zurück.
    »Sind Sie Mrs. Anderson?« fragte mein alter Herr.
    »Ja, die bin ich.«
    »Mein Name ist Sinclair, Horace F. Sinclair. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Namen schon einmal gehört haben, aber ich war oder bin mit Ihrem Mann Fred gut bekannt. Wir waren früher sehr viel zusammen. Ihr Mann, dann Simon Clarke und ich.«
    Mrs. Anderson hatte bei den Worten meines Vaters genickt. »Ja, jetzt weiß ich Bescheid«, flüsterte sie. »Fred hatte, als er noch lebte, viel von Ihnen erzählt.«
    Ich sah, daß mein Vater erschrak. »Er ist tot?«
    Sie nickte.
    Mein Vater senkte den Kopf. »Das«, flüsterte er, »tut mir sehr leid. Ich habe nicht gewußt, daß…«
    »Es ist auch noch nicht lange her«, unterbrach ihn Mrs. Anderson.
    Es entstand eine Schweigepause, die ich dann unterbrach, weil in mir ein gewisses Mißtrauen keimte. »Können Sie uns sagen, wie oder woran Ihr Mann gestorben ist?«
    »Das kann ich, Mister…«
    »Ebenfalls Sinclair. Ich bin der Sohn.«
    »Wie schön für Sie«, antwortete sie bitter. »Ich habe meinen Mann und meinen Sohn zur gleichen Zeit verloren. Sie starben auf der Straße. Von einem Wagen wurden sie überrollt. Da gab es keine Chance mehr für sie. Der Wagen fuhr sie bis gegen eine Wand.«
    »Wie das?«
    »Es war ein Truck«, sagte sie. »Er setzte sich plötzlich in Bewegung, ohne daß jemand hinter dem Lenkrad gesessen hätte. Mit seiner gewaltigen Schnauze quetschte er sie gegen die Mauer. Man hat sie kaum noch erkennen können. Es war schlimm.«
    Vater und ich warfen uns einen Blick zu. »Dürfen wir Sie trotzdem noch einige Minuten belästigen?« fragte Sinclair senior.
    Sie überlegte einen Moment. Ich glaubte, in ihren Augen einen scharfen, fordernden Blick zu erkennen. Schließlich hob sie die Schultern und gab den Weg frei. »Bitte, kommen Sie herein, ich habe hier nichts zu versäumen. Wenn Ihnen die Zeit nicht zu kostbar ist?«
    »Nein, das ist sie gewiß nicht«, antworteten wir und kamen der Aufforderung nach.
    Die Wohnung gefiel mir aus dem Grunde nicht so recht, weil sie ziemlich düster war. Diese Düsternis strahlte nicht nur der Flur mit den dunklen Möbeln ab, auch im Wohnzimmer breitete sie sich aus.
    Es lag vielleicht an den wuchtigen Gardinen, die vor dem Fenster hingen und einen Großteil der Helligkeit nahmen.
    Die Sessel waren alt, auf denen wir Platz nahmen. Als Mrs. Anderson uns etwas zu trinken anbot, lehnten wir beide ab.
    Auch sie setzte sich. Dabei ließ sie uns nie aus den Augen. Mir kam ihr Blick irgendwie beobachtend vor, und sie machte mir ganz den Eindruck einer Frau, die irgend etwas zu verbergen hatte, es aber nichtzugeben

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