036 - Die Hand des Würgers
geschlafen. Er sitzt auf der Kellertreppe, wie ich ihn ganz zuletzt gesehen habe – vor wenigen Stunden. Da er mir keine Antwort mehr gegeben hatte, habe ich ihn auch nicht mehr angesprochen. Ich vermute, daß er eingeschlafen war.
„Seid ihr denn beide tot?“ ruft der kleine alte Herr herunter. Er will heiter wirken, doch seinem Gesicht sieht man die Sorge an, die ihn die ganze Nacht hindurch gequält haben muß. Übrigens ist er erstaunt, auch Renaud im Keller zu finden, nicht nur mich.
„Was tust du denn hier?“ fragte er ihn und tätschelt dabei Faraud den Kopf. Dann sieht er erst Renauds verwirrtes Gesicht. „Was ist denn passiert?“
Renaud tut einen tiefen Seufzer und erzählt, er sei eingeschlafen, weil alles sehr friedlich ausgesehen, habe. Dann sei er aber überfallen worden.
Ich höre genau zu. Renaud spricht sehr kurz und nüchtern wie immer, schmückt auch nichts aus. Und er berichtet sehr flüssig. Er habe geschlafen, dann habe er eine Hand an seinem Hals gespürt. Er sei völlig überrascht gewesen; weil er sich ja nicht habe wehren können, sei er der Meinung gewesen, nun gehe es mit ihm zu Ende.
„Aber du bist doch so stark! Wie hast du das nur mit dir geschehen lassen können? Bei einer Frau wie Madame Vaison verstehe ich es, aber du, ein Kerl wie ein Stier.“
Renaud murmelt etwas, er hätte Monsieur Feras an seiner Stelle sehen mögen.
„Gut. Also, du wurdest überrascht. Und was geschah dann?“
„Ich wäre um ein Haar erstickt. ES hielt mich verdammt fest, Monsieur Feras.“
„ES? Was ES? Hast du gesehen, wer oder was dich angegriffen hat?“
„Gesehen habe ich überhaupt nichts. Es war doch rabenschwarze Nacht. Was mich schließlich gerettet hat, das war Faraud. Er kam dahergerannt und hat mich ordentlich verteidigt. Dann hat der andere oder was es war die Flucht ergriffen.“
„Und nachgelaufen bist du ihm nicht?“
„Wie konnte ich denn? Ich war doch halb erwürgt. Ich hab doch keine Luft gekriegt. Als ich aufstehen wollte, bin ich einfach auf den Boden gerutscht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich wieder richtig Luft bekam. Dann bin ich auch erst wieder einigermaßen zu mir gekommen. Ich habe gehört, wie Pascal nach seinem Hund rief. Faraud kam dann zurück. Und das wäre alles.“
Monsieur Feras schweigt eine Weile. Ich sehe, daß er angestrengt über etwas nachdenkt.
Dann sieht er Faraud an, und der Hund hebt den Kopf.
„Schade, daß du nicht reden kannst, mein Freund. Jammerschade. Du wüßtest …“ Dann wendet sich Monsieur Feras an Renaud. „Wo hast du den Schlüssel für das Halseisen, Renaud? Man muß Pascal doch endlich freilassen.“
Ich bin unendlich froh darüber und atme erleichtert auf. Monsieur Feras stellt sofort die Wunde an meinem Nacken fest.
„Da werde ich dir gleich etwas draufgeben, damit es sich nicht entzündet. Es wird bald wieder heilen. Nun, mein armer Pascal, diesmal bist du aber doch beruhigt, daß du’s nicht gewesen sein kannst, was?“
Erst begreife ich nicht recht, was er meint, dann legt mir Feras eine Hand auf die Schulter.
„Du warst also hier im Keller, angekettet und konntest dich nicht von der Stelle bewegen. Und genau das wolltest du doch, nicht wahr, Pascal? Wir wollten damit Erfahrungen sammeln, und das ist uns nun ja auch gelungen. Der unbekannte Mörder hat sich an unseren Freund Renaud herangemacht, und du warst ja gar nicht in der Lage, auch nur einen Schritt aus diesem Keller heraus zu tun. Ergebnis: Du bist für diese Angriffe nicht verantwortlich. Ist das nicht ausreichend bewiesen?“
Er musterte erst mich, dann Renaud. Wir könnten nun beide eigentlich ziemlich beruhigt sein. Das eine ist gewiß, daß ich mit diesem Überfall auf Renaud nichts zu tun hatte, ob ich das nun begriff oder nicht, aber ich war jedenfalls daran schuldlos. Trotzdem ist nicht einmal diese Tatsache ein großer Trost für mich.
„Monsieur Feras, ich bin es doch auch gar nicht, das ist meine …“
„Halte doch endlich den Mund, Pascal! Diese Geschichte mit der Hand ist vollendeter Unsinn. Renaud, du willst doch nicht etwa wie Madame Vaison sagen: ‚ES hatte kein Gesicht’? Nun, so rede doch! Hast du dazu etwas zu sagen?“
Renaud schüttelt den Kopf. Er habe nichts gesehen, rein gar nichts. Er habe geschlafen und sei im Schlaf überrascht worden. Man habe ihn fast erwürgt. Faraud habe ihn gerettet, weil er ES verjagt habe. Und das sei aber auch wirklich alles. Damit hielt er sich genau an seine erste Schilderung.
„Und
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