036 - Die Hand des Würgers
erklären, auch Corinne und Renaud ebenfalls. Aber ich?
Nein, nicht grübeln. Nicht in Gedanken wühlen, die mein armer Kopf sowieso nicht bewältigen kann. Es genügt schon, daß es in meinem Schädel brodelt wie in einem festgeschlossenen Kochtopf, der auf dem Feuer steht.
Dann sehe ich Corinne am Arm ihrer Schwiegermutter den Pavillon verlassen. Sie ist noch immer recht blaß. Ich habe gehört, wie Monsieur Feras der alten Madame Vaison sagte, Corinne habe vielleicht nur einen sehr bösen Traum gehabt, aber es sei alles noch ungeklärt.
Ich habe aber niemals an einen Traum geglaubt. Und seit der Sache, die Renaud zugestoßen ist, glaube ich, daß auch mein alter Freund nicht mehr an dem zweifelt, was Corinne erlebt hat.
Corinne ist wenigstens rechtzeitig aufgewacht und hat den Angreifer verjagt, dessen Gesicht sie nicht gesehen hat, oder der, wie sie es ausdrückte, keines hatte.
Die beiden Damen kommen auf mich zu. Ich begrüße sie, aber noch immer bin ich ziemlich schüchtern, wenn ich sie sehe. Corinne lächelt mich an. Sie ist unglaublich reizend, auch wenn ihr Gesicht fast wie eine orientalische Maske wirkt.
„Nun, Pascal, was ist mit diesen Rosenstöcken?“
Ich bin ziemlich verlegen, und ich rede auch immer einigen Unsinn zusammen, wenn ich so verlegen bin. Trotzdem gelingt es mir schließlich, die gewünschten Erklärungen zu geben. Dann erkundigte ich mich nach Corinnes Befinden und werde mit einem reizenden Lächeln belohnt.
„Oh, es geht mir schon wieder besser“, sagt sie. „Ich glaube, ich sollte wirklich diese üblen Sachen ganz vergessen.“
Liebe, liebe Corinne! Nein, ich kann nichts von dem vergessen, was mit ihr zusammenhängt, ich will es auch nicht. Es ist nur sehr viel leichter, zu sagen, man müsse vergessen, als es auch zu tun.
Die beiden Damen nehmen ihren Tee im Garten. Ich habe das Gefühl, nicht mehr überwacht zu werden. Ich habe ja auch eine Überwachung nie herausgefordert, und ich bin überzeugt, daß Monsieur Feras das, was ich ihm gesagt habe, nicht wörtlich genommen hat.
Die Kette, an die ich angehängt war, hat mir doch die Gewißheit gegeben, daß ich unschuldig bin.
Aber hoffentlich ist meine unglückselige Hand ebenso unschuldig wie ich!
Wenn ich in Corinnes Garten arbeite, kann ich mich immer nicht recht losreißen. Dabei habe ich wirklich alle Arbeit getan, die zu tun war. Mir wäre auch viel lieber, wenn Monsieur Feras zurückkäme, denn er würde wissen, was ich tun solle. Diese Nacht, das weiß ich jedoch genau, werde ich nicht im Keller verbringen, auch nicht angekettet. Was aber dann, wenn ‚der andere’ kommt?
Dann höre ich einen Schritt auf dem Kies der Zufahrt. Monsieur Feras kann es nicht sein, denn er hat trotz seines Alters einen sehr leichten, lebhaften Schritt. Der Ankömmling ist jedoch ein großer, schwerer Mann, auch viel schwerfälliger als Monsieur Feras. Außerdem habe ich das Auto nicht gehört.
Es ist Renaud, der auf mich zugeht.
Wir schütteln einander die Hand. Das wurde inzwischen bei uns zur Gewohnheit. Es gibt eigentlich zwischen uns keine Rivalität mehr, denn er ist nun überzeugt, daß ich, der Mann ohne Hand, es nicht gewesen war, der zur Zeit von Loulous Ermordung vor der Scheune herumgespukt hat.
„Guten Abend, Renaud. Willst du was von mir?“
„Ja. Ist Monsieur Feras schon zurückgekommen?“
„Bis jetzt noch nicht.“
Er schickt sich zum Gehen an, zögert aber dann doch. Etwas scheint ihn zu quälen, und das erstaunt mich nicht. Der Bursche hat seine erwürgte Geliebte gesehen, und der Verdacht ist mindestens für kurze Zeit auf ihn selbst gefallen. Und in der vergangenen Nacht ist er nur um Haaresbreite dem gleichen Tod entkommen.
Er könnte sich selbst von jedem Verdacht reinigen, wenn er zur Polizei ginge und den Vorfall der vergangenen Nacht erzählte. Natürlich wäre es auch Monsieur Feras angenehm, wenn auf Renaud keinerlei Verdacht mehr fiele. Er hat ja wiederholt erklärt, er glaube nicht an die Hypothese von Renauds Schuld, sondern er halte ihn für ebenso unschuldig wie mich. Und in meiner Gegenwart hat unser alter Schmetterlingssammler gesagt, es sei lächerlich, den Gendarmen die Geschichte dieser Nacht zu erzählen, denn man müßte ja dazu sagen, daß ich verlangt habe, angekettet zu werden. Auch hätte ich die ganze Nacht tatsächlich im Keller verbracht. Über meine wilden Phantastereien würde man nur den Kopf schütteln, aber nützen würde ein Bericht über diese Nacht weder Renaud noch
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